• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • # 17 | September/Oktober 2020
  • S. 36-41

Premierenfieber

Der Popstar von Bad Ischl

Zum 150. Geburtstag von Franz Lehár

Text: Katharina John

In: Foyer5, # 17 | September/Oktober 2020, Landestheater Linz, S. 36-41 [Publikumszeitschrift]

„Er war der Andrew Lloyd Webber seiner Zeit“, so Operettenforscher Stefan Frey über den Komponisten Franz Lehár, der bereits zu Lebzeiten zur Legende wurde, und der Vergleich ist in vielerlei Hinsicht sicherlich ein treffender. Mit dem englischen Musicalphänomen teilt der König der Operette die kongeniale melodische Erfindungsgabe, die Fähigkeit, einzigartige musikalische Gassenhauer zu ersinnen und ungeheures Pathos und Banalität wirkungsmächtig miteinander zu verbinden.

Lehár schrieb Schlager, die in der Geburtsstunde von Radio und Film zu einem Massenphänomen wurden und auf ihrem Weg rund um die Erde nicht aufzuhalten waren. Bis in die Gegenwart werden seine Melodien von Menschen jeglicher Provenienz gesungen, geliebt und gefeiert. Sogar der strenge Adorno vermochte es nicht, sich den sinnlich-lockenden Weisen des Komponisten zu entziehen: „Wir kommen unter Autos, weil wir’s unachtsam summen, beim Einschlafen verwirrt es sich mit den Bildern unserer Begierde.“ Lloyd Webber und Lehár gemein sind auch die Schmähungen, die sie für diese Gabe ertragen mussten und müssen, und die Ausgrenzung aus dem Olymp des Schönen, Wahren und Guten „echter Kunst“. Aus der Feder Kurt Tucholskys stammt eines der bekanntesten Zitate über den Wahl-Ischler, in dem dieser drei Komponisten in einer strengen Hierarchie gegeneinander positioniert und dabei Lehár die letzte Position zuweist: „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes“, so der deutsche Autor und Satiriker „und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“ Tucholsky markiert hier auch stilistisch, welcher despektierlichen Einschätzung sich Lehár nach seinem Urteil erfreuen darf.

Franz Lehár, 1870 im heute slowakischen Komorn geboren, selbst zunächst virtuoses Wunderkind auf der Violine, hatte schon früh und gegen den Widerstand seiner Eltern den Beruf des Komponisten im Auge. Die Oper war es, die seine Fantasie entzündete, und so betrat er nach einem ersten Versuch, einem veristischen Operneinakter à la Mascagni mit dem Titel Rodrigo, mit dem lyrischen Drama Kokuška (Der Kuckuck, später Tatjana) 1896 erfolgreich in Leipzig die Theaterbühne. Auch seine zweite Oper war klanglich und in ihrer Struktur noch stark seinen Vorbildern verpflichtet. Neben der zeitgenössischen italienischen Opernliteratur orientierte er sich musikalisch an seinen Landsleuten Smetana, Dvořák und Fibich.

In seiner Position als Militärkapellmeister war Lehár ein Mann der musikalischen Praxis. Er formte Musiker aus Soldaten und überprüfte seine Kompositionseinfälle nicht etwa am Klavier, sondern an den ihm zur Verfügung stehenden Orchestern, die sein persönliches Instrument wurden. Nach mehreren Versuchen und Rückschlägen gelang es ihm, die Position des Militärkapellmeisters endgültig abzustreifen, und spätestens ab 1905 mit der Operette Die lustige Witwe waren ihm Ruhm und Erfolg auch als Komponist sicher. Durch ihre raffinierte Verknüpfung von Modernität und Erotik mit einem neuen, emanzipierten Frauenbild und unwiderstehlichen Ohrwürmern wird die Witwe zu einem globalen Massenphänomen. Das ganze Genre erlebt mit Lehár eine Konjunktur bisher unbekannten Ausmaßes und beherrscht mittels der gerade aufkommenden Massenmedien bald die Bühnen der Welt. Selbst Werke ohne Happy End wie Das Land des Lächelns werden gefeiert, und mit seiner letzten musikalischen Komödie Giuditta ist Lehár 1934 auch an der Wiener Staatsoper angekommen.

Der Einschätzung so vieler vermeintlich Berufener über seine Person und sein Werk setzte der Komponist bereits zu Lebzeiten eine eigene Erzählung entgegen. Schon früh begann er, intensiv an seinem Nachruhm zu arbeiten und verwandelte seine Ischler Villa in ein Museum, in dem der Komponistenlegende vor und nach seinem Tod gehuldigt werden durfte und darf. Der Ort der kaiserlichen Sommerfrische orchestriert als Nebenzentrum der Wiener Operette und des sinnlichen Müßiggangs genau jene Atmosphäre der Rückwärtsgewandtheit, der Maßlosigkeit und Schönheitssehnsucht, die auch der Grundstimmung der späten Wiener Operette entspricht – einem Genre, das sich immer ganz nah an der eigenen Parodie entlanghangelt. Keine Person des politischen oder aristokratischen Lebens war es übrigens, die nach dem Tod des Kaisers in Bad Ischl an dessen prominente Stelle trat, sondern – zumindest symbolisch – der Komponist und Operettenkönig Franz Lehár.

Außerhalb des Salzkammerguts wurde jedoch gerade am Beispiel Franz Lehárs die im deutschsprachigen Raum streng geführte Diskussion um die Abgrenzung von E- und U-Musik besonders leidenschaftlich geführt. Was den einen berührender Schmelz, galt den anderen als kitschiger Schmalz. Die Imagebildung der Marke „Franz Lehár“ ist bis heute nicht vollständig abgeschlossen. Ernst Decsey und Maria von Peteani als frühe Biografen waren mit dem Meister noch persönlich bekannt. Mit zunehmender zeitlicher Distanz der Autor*innen veränderte sich auch das Lehár-Bild. Bis in die Gegenwart werden immer noch Archive geöffnet und neues Material erschlossen. Bislang unbekannte Quellen kommen ans Licht, die dem Bild des Komponisten immer weitere Facetten hinzufügen.

Die Person Franz Lehárs birgt also nach wie vor spannende Geheimnisse, und angesichts seines 150. Geburtstages ist die Forschung erneut herausgefordert, sein Bild weiter zu vervollständigen. Eine Aufgabe, die umso schwieriger ist, als der Komponist selbst gerade dieses Eindringen in seine seelische Intimsphäre zu verhindern gedachte. Zwei Arien, samt ihrer Textdichtung, so äußerte sich Lehár selbst, sprächen ihm aus dem Herzen: „Immer nur lächeln und immer vergnügt, immer zufrieden, wie’s immer sich fügt. Lächeln trotz Weh und tausend Schmerzen, doch wie’s da drin aussieht, geht niemand was an.“ So beschreibt der chinesische Prinz Sou-Chong im Land des Lächelns seine persönliche Verfasstheit. Ergänzt sieht der Komponist selbst dieses Bild im Geständnis seines Titelhelden Paganini, der über sich sagt: „Was ich denke, was ich fühle, höchstes Glück und tiefstes Leid … das vertrau ich ganz alleine meiner lieben Geige an.“

Ein hochinteressantes, mit Bildern unterlegtes Tondokument des ORF (einseh- und hörbar auf YouTube) vom Herbst 1945 mit dem Titel „Franz Lehár spielt und erzählt aus seinem Leben“, zeigt den Komponisten als einen Gesprächspartner, dessen Ausdrucksmedium eindeutig nicht die Sprache ist. Anstatt die Fragen seines Interviewpartners Andreas Reischek, der den Komponisten in seiner Ischler Villa besuchte, zu beantworten, setzt er sich ans Klavier und gibt dem Zuhörer einen 50-minütigen Abriss seines Lebens als eine Abfolge von ausschließlich musikalischen Ereignissen, die der Meister mit Aufführungsdaten und Sängernamen spickt und mit menschlichen Begegnungen garniert, die ihn geprägt haben. Einen großen Einschnitt bildete für ihn die Begegnung mit der Linzer Weltstimme Richard Tauber 1922, der zu einem seiner wichtigsten musikalischen Partner werden sollte, und dem Lehár die sogenannten „Tauber-Lieder“ auf den Leib und in die Kehle schrieb. Die pflichtschuldige Erinnerung an die Namen seiner Librettisten fällt dem 75-Jährigen drei Jahre vor seinem Tod bereits schwer. Andere Kategorien seines Lebens in Zeiten großer Umbrüche und politischer Katastrophen finden keinen Eingang in Lehárs Aufzählung der Stationen seiner Karriere. Der mit einer jüdischen Frau verheiratete Lieblingskomponist Adolf Hitlers hatte sich nicht in der Lage gesehen, die von ihm zu den Nazis gepflegten – wie neuere Forschungen zeigen – guten Beziehungen dazu zu nutzen, den Freund und Librettisten von Der Sterngucker, Friederike, Das Land des Lächelns und Schön ist die Welt, Fritz Löhner-Beda, erfolgreich vor der Ermordung durch die Nazis in Auschwitz zu retten. Bis zu seinem Tod hatte Löhner-Beda noch große Hoffnung in die Rettung durch seinen prominenten Freund gesetzt. Zeitlebens weigerte sich Lehár, über die politischen Dimensionen seines Wirkens im Dritten Reich zureden. Kein Wort verliert er im genannten Tondokument auch über sein persönliches Erleben außerhalb der Musik.

Angesichts seiner unbeholfenen und schwerfälligen Erzählweise berührt einen der Kontrast zwischen seinen Versuchen, dem Gesprächspartner und seinen Hörern gerecht zu werden, und der großen Virtuosität und gleichzeitig Intimität der musikalischen Interpretation entlang seiner größten Hits am Klavier umso mehr. Seine Melancholie wird hier, am Instrument, körperlich erfahrbar und es überrascht nicht, dass ihm schließlich vor Traurigkeit die Worte wegbrechen und er plötzlich nicht weitersprechen kann. Lehár ist seine Musik, und in seiner Musik, die mehr weiß als er, ganz bei sich selbst.




Das Landestheater Linz zeigt zum 150. Geburtstag von Franz Lehár eine Neuinszenierung des Operettenschlagers Das Land des Lächelns. Regisseur Andreas Beuermann über seinen Zugriff auf das Werk:


Was betrifft uns Zeitgenoss*innen an dieser berühmten Operette?

Das Überwinden von gesellschaftlichen und kulturellen Grenzen ist selbst 90 Jahre nach der Uraufführung noch ein greifbares, erlebbares Thema, das die Liebe eines Paares wie Lisa und Sou-Chong auch heute noch auf eine harte Probe stellen könnte. Der Mut, die Konventionen der Liebe wegen zu hinterfragen und zu überwinden, macht gerade diese Operette emotional besonders zugänglich.

Welchen inszenatorischen Zugriff haben Sie gewählt, wo siedeln Sie die Geschichte an?

Operette wird oft als (verstaubtes) Museum einer vergangenen Zeit betrachtet. Das hat uns den Gedanken eröffnet, dieses „Operettenmuseum“ zum Leben zu erwecken. Unser „fernes“ China wird ganz „nah“ in einem Museum lebendig, wie ein goldener Käfig, in dem sich Lisas Traum von Freiheit zu einem Albtraum des Fremdseins wandelt.

Die Schwärmerei einer jungen Frau für den  unerreichbar scheinenden, fremden Mann  und die Überflutung der Reize, als sie ihm  plötzlich gegenübersteht, fügen sich günstig in  die Biografie Richard Taubers zwischen Uraufführung  und Weltkarriere ein und lassen die  Grenzen zwischen ihm, dem greifbaren Tenor,  und dem von ihm verkörperten Sou-Chong  vor den Augen der Schwärmerin verschmelzen.


Das NORDICO Stadtmuseum Linz ersteigerte 1987 einen Teilnachlass des Sängers Richard Tauber, Startenor der Zwischenkriegszeit. Er eroberte von Linz aus die Welt und gilt bis heute als wichtigster Tenor neben Enrico Caruso. In der Ausstellung 100% LINZ. Kaleidoskop einer Stadt wird eine Auswahl aus den insgesamt 8.000 sich in der Sammlung befindlichen Schriftstücken, Fotos und Objekten gezeigt. Im Frühjahr 2021, zum 130. Geburtstag des Tenors, ist eine Filmmatinee im Stadtmuseum geplant.

Der Abdruck der Fotografien von Franz Lehár und Richard Tauber erfolgt mit freundlicher Genehmigung des NORDICO Stadtmuseum Linz.

NORDICO Stadtmuseum Linz
Dametzstraße 23, 4020 Linz
nordico.at

Öffnungszeiten
Dienstag – Sonntag 10.00 – 18.00 Uhr
Donnerstag 10.00 – 21.00 Uhr
Montag geschlossen


DAS LAND DES LÄCHELNS

ROMANTISCHE OPERETTE IN DREI AKTEN VON FRANZ LEHÁR

Libretto von Ludwig Herzer und Fritz Löhner-Beda nach Victor Léon
Neue Textfassung für das Landestheater Linz von Simon W. Alexander
In deutscher Sprache mit Übertiteln

Premiere 9. Oktober 2020
Großer Saal Musiktheater

Musikalische Leitung Marc Reibel
Inszenierung Andreas Beuermann
Bühne Bernd Franke
Kostüme Götz Lanzelot Fischer
Videodesign Daniël Veder
Nachdirigat Claudio Novati
Dramaturgie Katharina John

Mit Domen Fajfar, Theresa Grabner, Regina Riehl / Gotho Griesmeier, Markus Raab, Matthäus Schmidlechner, Franziska Stanner, Matjaž Stopinšek,Ulrike Weixelbaumer u. a.

Chor des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz

Weitere Vorstellungen
16., 24. und 31. Oktober 2020, Silvestervorstellung am 31. Dezember 2020, weitere Termine auf landestheater-linz.at

71. Sonntagsfoyer
Einführungsmatinee 27. September 2020 | 11.00
HauptFoyer Musiktheater

Kaum eine Partie ist mit dem Linzer Weltstar Richard Tauber so eng verbunden, wie die des Prinzen Sou-Chong aus Franz Lehárs Das Land des Lächelns. Anlässlich des 150. Geburtstags Franz Lehárs zeigt das Landestheater eine Neuproduktion dieser erfolgreichsten Lehár- Tauber-Operette. Regisseur Andreas Beuermann macht ein Wiener Museum im Uraufführungsjahr zum Handlungsort seiner Deutung und verbindet Entstehungsgeschichte und Werk miteinander, indem er den Sängerstar Richard Tauber als Interpreten des Prinzen Sou-Chong ins Zentrum der Liebesleidenschaft Lisas rückt.

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