• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 14 | Herbst 2019
  • S. 20-21

Viktor Ullmann, Pavel Haas, Hans Krása

Interview: Christoph Wellner

In: Magazin Klassik, # 14 | Herbst 2019, Radio Klassik Stephansdom, S. 20-21 [Hörermagazin]

Diese drei Komponisten aus Österreich-Ungarn haben fast dasselbe Sterbedatum, den 17. bzw. 18. Oktober 1944. Was auf den ersten Blick wie ein Zufall aussieht, stellt sich schnell als Detail eines grauenhaften Schicksals dar: Vor 75 Jahren wurden sie im Oktober aus dem Ghetto Theresienstadt nach Auschwitz-Birkenau deportiert und sofort ermordet.

Der österreichische Musikwissenschaftler Gerold W. Gruber ist Gründer und Leiter des exil.arte Zentrum der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, das sich als Anlauf- bzw. Schnittstelle für Rezeption, Erforschung, Bewahrung und Präsentation der Werke deutschsprachiger Komponistinnen und Komponisten, Interpretinnen und Interpreten sowie Musikforscherinnen und Musikforscher, die im Dritten Reich als „entartet“ galten, sieht.

CW: Ullmann, Haas und Krása ereilte in Auschwitz innerhalb eines Tages dasselbe grausame Schicksal. Wie würden Sie diese drei Musiker als Komponisten charakterisieren?

GWG: Der bedeutendste unter ihnen war sicher Viktor Ullmann – er war auch direkter Schüler von Arnold Schönberg. Ullmann hat zwei Mal den prestigeträchtigen Emil-HertzkaPreis1 erhalten: einmal für die Orchesterfassung seiner „Schönberg-Variationen“, einmal für die Oper „Der Sturz des Antichrist“. Sein Stil ist von einer neuartigen Harmonik zwischen Tonalität und Atonalität gekennzeichnet. Er selber nannte dies „Polytonalität“. Er war in Wien schon sehr früh vielleicht nicht unbedingt berühmt, aber bekannt.

CW: Viktor Ullmann hat im Ghetto bzw. im Konzentrationslager Theresienstadt unglaublich viele Werke komponiert. Wie war das möglich?

GWG: Die Nationalsozialisten wollten mit Theresienstadt eine Art „Vorzeigelager“ schaffen, um der Welt (unter anderem auch in Propagandafilmen) zu zeigen, wie gut „man“ mit den Juden umzugehen schien. Es gab dort – man nannte das wirklich so – eine „Freizeitgestaltung“, in der Theater gespielt wurde und Konzerte gegeben wurden. Alleine die Pianistin Alice Herz-Sommer (1903-2014) gab über 100 Konzerte in Theresienstadt! Für diese Freizeitgestaltungen brauchte man Musik – und die wurde von den dortigen Komponisten geschaffen. Viele wissen nicht, dass es in den Lagern und den Ghettos erlaubt war jüdische Musik zu schreiben, zu spielen und aufzuführen. Was in Nazi-Deutschland längst als entartet galt, konnte dort gepflegt werden. Übrigens gilt dasselbe für Jazz-Musik.

CW: Von Pavel Haas gibt es aus dem KZ beispielsweise auch eine Komposition „Al S’fod“, ein Chorwerk für vier Männerstimmen nach einem während arabischer Erhebungen gegen die jüdische Besiedlung Palästinas verfasstes Gedicht eines jüdischen Schriftstellers.

GWG: Vor der Machtergreifung der Nazis waren viele europäische Juden so assimiliert, dass „das Jüdische“ eigentlich keine Rolle mehr gespielt hatte. Viele wurden Protestanten, manche – wie Egon Wellesz – auch Katholiken. Aufgrund der Gewalttaten der Nazis und der Rassengesetze wurde vielen erst bewusst vor Augen geführt, „jüdisch“ zu sein. Somit hat dann – nicht nur für Pavel Haas – eine verstärkte Beschäftigung mit jüdischen Themen begonnen. Nicht nur in Chor- und Vokalwerken, sondern auch in der Instrumentalmusik.

CW: Die Oper „Brundibar“ von Hans Krása wurde über 55 Mal in Theresienstadt gespielt …

GWG: Diese sogenannte Kinderoper ist voller Symbole, die einerseits wie ein Märchen wirken, allerdings politisch sehr hintergründig sind. Das erklärt sicher auch den „Erfolg“ bzw. die vielen Aufführungen.

CW: Was zeichnet den Komponisten Hans Krása aus?

GWG: Er ist im Vergleich zu Viktor Ullmann in seiner Tonsprache nicht so radikal. Er hat sich dem Stil der „Neuen Sachlichkeit“ verbunden gefühlt und sich auch die Klangvorstellungen seines Lehrers Zemlinsky als Vorbild genommen. Pavel Haas sehe ich in der Nachfolge seines Lehrers, Leoš Janáček, im Bereich des Polyrhythmischen verortet. Ich möchte diesbezüglich noch unbedingt den Komponisten Gideon Klein (1919-1945) erwähnen. Er wurde mit den drei genannten Komponisten nach Auschwitz deportiert, aufgrund seiner „Jugend“ jedoch nicht sofort ermordet, sondern starb im Jänner 1945 unter ungeklärten Umständen in den Kohlengruben des Außenlagers Fürstengrube.

CW: In Ullmanns Oper „Der Kaiser von Atlantis“, die er in Theresienstadt komponiert hat, gibt es die erstaunliche „Parabel vom Spiel des Kaisers mit dem Tod …“

GWG: In einem grausamen Krieg weigert sich der Tod seine Arbeit zu verrichten. Der Kaiser ist verzweifelt, dass niemand mehr stirbt. In einer Konfrontation der beiden erklärt sich der Tod bereit seine Arbeit wiederaufzunehmen, wenn der erste Tote der Kaiser selbst ist! Das war natürlich eine relativ klare Anspielung auf Adolf Hitler …


1 Emil Hertzka (1869-1932) war Mitgründer und prägender Direktor des Wiener Musikverlages Universal Edition.

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