• PROspekt
  • Theater Erfurt
  • # 3 | März-Juni 2017
  • S. 22

Magazin

Das jährliche Theater um den Spielplan

Wie ein Spielplan entsteht

Text: Johannes Beckmann

In: PROspekt, # 3 | März-Juni 2017, Theater Erfurt, S. 22 [Publikumszeitschrift]

Jedes Jahr wiederholt sich am Theater Erfurt ein Prozess, den man als das geistige Herzstück des Hauses bezeichnen kann: die Suche nach dem passenden Spielplan für die nächste Saison. Welche Stücke dem Publikum gezeigt werden, ist das Ergebnis langer und ausgesprochen kontroverser Diskussionen.

An diesen Spielplansitzungen nimmt ein enger Kreis von Mitarbeitern teil. Am Ende der Debatte hat natürlich der Intendant das letzte Wort und muss es auch haben, denn er trägt die Verantwortung für das Gelingen oder aber auch einmal für das Misslingen der Programmgestaltung. Im Mittelpunkt aller Überlegungen stehen grundsätzlich zwei Aspekte: zum einen das Publikum selbst und seine Erwartungen. Und zum anderen die Frage, was und in welcher Form wir dem Publikum vermitteln wollen.

Es ist nicht nur legitim, sondern unabdingbar zu fragen, womit man das Publikum begeistert. Hinter dieser Frage steht weniger der wirtschaftliche Aspekt, mit welchem Programm man die besten Einspielergebnisse erzielt. Vielmehr wollen wir dem Besucher „sein“ Theater nicht nur öffnen, sondern mit einem möglichst vielseitigen Spielplan seine Bedürfnisse erfüllen. Es wird dennoch nie gelingen, Theater zu machen, das allen und jedem zu jeder Zeit und immer vollkommen gefallen wird. Und das ist auch nicht die uns gestellte Aufgabe, weder die des Intendanten noch die seiner Mitarbeiter.

Natürlich bemüht sich der Theaterschaffende, dem Publikum zu gefallen, ohne ihm nach dem Mund zu reden; zu begeistern, ohne zu manipulieren. Wir wünschen uns Zuspruch und Applaus, aber nur für ein Programm, das wir selbst attraktiv finden, hinter dem wir persönlich stehen können. Theater ist Dialog zwischen den Spielenden und den Sehenden und Hörenden. Und zum Dialog gehört auch, dass man nicht von vornherein schon im Konsens ist, sondern vielleicht eher den Dissens offenbar macht und sich erst auf dieser Grundlage gemeinsam dem Kern eines Werkes nähern kann.

Ist das zu theoretisch angesichts der Frage, wie ein Spielplan entsteht? Nun gut, werden wir konkreter.

Da sitzen also Guy Montavon, Joana Mallwitz, Arne Langer, Ute Lemm, Lorina Strange, Samuel Bächli und ich zusammen und denken darüber nach, welche Stücke nächstes Jahr gezeigt werden. Und was kommt da nicht alles aufs Tableau!

Der „große Italiener“ ist ein Muss für jede Oper. Aber mit welchem Verdi/Puccini/Donizetti usw. wiederholen wir uns nicht? Und was ist mit dem deutschen Repertoire – Weber, Wagner, Strauss? Außerdem wollen wir doch jedes Jahr eine Uraufführung oder eine Ausgrabung auf die Bühne bringen. Sehr ehrenwert, natürlich – kaum ein anderes deutsches Theater hat sich in den vergangenen 15 Jahren derart verdient gemacht um das Abseitige und das Neue wie das Theater Erfurt. Aber die begonnene Mozart-Reihe will auch fortgesetzt werden. Mozart geht ja immer, aber wir brauchen eine Regie-Lesart, die herausfordert. Und diese ungarische Oper, selten gespielt im überschaubaren Kanon von nicht mehr als ca. 70 Werken: falls sie es dann wird, spielen wir sie auf deutsch oder auf ungarisch mit Übertiteln? Und wird der wenig bekannte Titel vom Publikum überhaupt angenommen, unabhängig davon, wie spannend die Geschichte ist? Dann sind da noch die zwei Kinder-/Jugendopern, die gerade mit großem Erfolg an anderen europäischen Theatern aufgeführt wurden. Ah ja, das Bemühen um das junge Publikum, klasse, aber würde eine Tanzpremiere dem etwas älteren Publikum nicht besser gefallen? Sehr gute Idee auch das Crossover-Projekt mit Kulturträgern aus der freien Szene und in Verbindung mit einem Kinofilm. Das zieht vielleicht ein Publikum an, das mit der klassischen Oper nicht so vertraut ist. Aber wird solch ein Experiment unsere Abonnenten nicht verschrecken? Und natürlich muss die Biennale- Operette ins Programm. Gleichzeitig soll der Spielplan insgesamt aber einen roten Faden erkennen lassen. Nun verbinde man mal Kálmáns Csardasfurstin inhaltlich mit Wagners Rienzi … Großes Vergnügen! Tja, „Roter Faden“, schön und gut, aber wer zweimal im Jahr den Weg ins Theater findet, muss vielleicht gar keinen großen Zusammenhang erkennen. Oder doch?

Man ringt in der Programmrunde miteinander um das beste Ergebnis und natürlich bringt jeder seine Erfahrung und seine Erwartungen an zeitgemäßes, gutes Theater mit ein. Und ebenso plural wie das Publikum setzt sich auch diese Runde zusammen. Damit einher geht die Hoffnung, dass möglichst viele Wünsche des Publikums erfüllt werden, so wie wir auch möglichst viele eigene Vorstellungen zu berücksichtigen versuchen.

Die wirkliche Kunst und vielleicht das Geheimnis eines erfolgreichen Spielplans besteht darin, all diese Ideen erst einmal zuzulassen, sie dann zu katalysieren und schließlich daraus eine „runde Sache“ zu machen.

Vielleicht am wichtigsten bei der Spielplanentwicklung aber ist der Mut, die eigene Idee über Bord zu werfen und sich dann von der besseren Idee der Kollegin oder des Kollegen begeistern zu lassen. Das gilt für den Intendanten ebenso wie für jeden anderen und wird am Erfurter Theater auch genau so gelebt!

 

Ob das Publikum unser Ergebnis letztendlich gut heißt, hängt von vielen Faktoren ab – nicht zuletzt davon, ob wir das passende künstlerische Personal für unsere Projekte finden. Aber das ist eine andere Geschichte ...