• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 8 | Frühjahr 2018
  • S. 12-13

Lust auf Lied

Gedanken von Staatsopernsänger Hans Peter Kammerer zu seiner neuen Sendereihe

Text: Hans Peter Kammerer

In: Magazin Klassik, # 8 | Frühjahr 2018, Radio Klassik Stephansdom, S. 12-13 [Hörermagazin]

Im Rahmen eines Lied-Meisterkurses gemeinsam mit Angelika Kirchschlager wurde die Idee zu einer neuen Lied-Sendung geboren: Das Lied ins Zentrum akustischer Betrachtungen zu stellen. Mit „betrachten“ meine ich das Wort in seinem ursprünglichen, mittelhochdeutschen Sinn: betrachten, überdenken. Übrigens auch verwandt mit dem lateinischen tractare, also: untersuchen oder behandeln. Sie sehen: wir sind schon mitten in der lustvollen Beschäftigung mit Liedern. Natürlich geht es vordergründig um das Lied als eine wunderbare musikalisch-literarische Kunstform. Aber gerade das Lied mit seiner durchsichtigen, fragilen Gestalt lädt ein, weiter und darüber hinaus zu denken. So kann es sein, dass scheinbar geradezu gegensätzliche Interpretationen auf ihre spezielle Art wahr, wahrhaftig sind. Individuell im besten Sinn, weil hier mehr als vielleicht bei anderen vokalen Formen das persönliche Erleben, die Lebenserfahrungen und -wirklichkeiten essentiell zum Tragen kommen.

Letztes Jahr zeigte die Albertina Zeichnungen von Raffael. Im Kunsthistorischen Museum konnte Rubens bewundert werden. Und was fällt auf? Die konzentrierten, puren Zeichnungen haben oft eine Dramatik, eine Stringenz, die geradezu verstört. Die Modelle für die großen Jesuitenbilder von Rubens haben einen malerischen Duktus, der im monumentalen Format zugunsten der üppigen Farbigkeit und erzählerischen Pracht etwas verlorengegangen scheint. Die kleinere Form zeigte sich mir da wie dort moderner, radikaler, zuletzt ergreifender.

Das ist es etwa, was ich als Metapher benutzen würde, sollte ich erklären müssen, was für mich das fragile Lied vom Wesen der Oper unterscheidet. Die Oper als monumentales Ölgemälde, als das große Tafelbild einerseits, das mit grandiosem Gestus archaische Geschichten von Liebe, Macht und Tod erzählt. Damit unsere Bewunderung und Erstaunen hervorruft und unseren lauten Jubel verdient. 

Andererseits das Lied. Ein Aquarell, die Federzeichnung der Musik. Intim, persönlich. Es erzählt von der leisen Liebe, vom stillen Schmerz über Verlorenes, von der Sehnsucht. Und evoziert unser Mitgefühl, unser Verstehen. Weil es meistens unsere eigenen Lebenserfahrungen trifft.

Die Liebe zu dieser Essenz in der Musik und in der Dichtung möchte ich gerne mit Ihnen teilen. Und Ihnen auch von all jenen Assoziationen berichten, die die Beschäftigung mit dem Lied bei mir gelegentlich hervorruft. Seien sie künstlerischer, menschlicher oder kulinarischer Natur. Via Radio Lust auf Lied entfachen. Das ist es.


Radiotipp

Lust auf Lied
Der Kammerer-Ton auf radio klassik
28. April 2018, 15.00 Uhr