• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • November 2020
  • S. 6-8

Premiere Don Pasquale

Das Paradoxon eines unendlichen Abschieds

Text: Deborah Einspieler

In: Magazin, November 2020, Oper Frankfurt, S. 6-8 [Publikumszeitschrift]

Als Gaetano Donizetti seinen Don Pasquale komponierte, konnte niemand ahnen, dass es als Spätwerk oder gar letzte Opera buffa in die Musikgeschichte eingehen würde. Bereits 110 Jahre sind zwischen der Uraufführung von Giovanni Battista Pergolesis Opernintermezzo in zwei Teilen La serva padrona und der Oper um den anrührenden Alten vergangen, und schon oft wurden die Avancen älterer Herren, die sich jungen Damen näherten, in Opern wie Le nozze di Figaro (1776), Die Entführung aus dem Serail (1782) oder Il barbiere di Siviglia (1816) auf die Bühne gebracht. 

Gaetano Donizetti ist 46 Jahre alt, als er Don Pasquale in angeblich nur 10 Tagen komponiert, und bereits an Syphilis erkrankt. Mitunter halluziniert er und verbringt viel Zeit im Bett. Seinem Musikverleger Guglielmo Cottrau schreibt er 1845: »Ich bin bei einem Doktor in Behandlung ... Rheuma im Kopf, das eine Art Hammer dauernd auf mein Hirn schlagen lässt und mich verwirrt.«

 

Schneller geht’s nimmer

Bereits während seines Musikstudiums in Bologna beeindruckt Donizetti durch seine Schnelligkeit beim Komponieren. »In eineinviertel Stunden gemacht«, lautet die Überschrift einer Sinfonie des damals 19-jährigen Komponisten. Gemeinsam mit Felice Romani, einem bedeutenden Librettisten, der schon über 100 Operntextbücher verfasst hatte, verbucht Donizetti in Neapel und Mailand seine ersten großen Bühnenerfolge.

Die Leichtigkeit, mit der er auch schwere Operntexte vertont, die Entschlossenheit Geld zu verdienen und der Erfolg beim Publikum veranlassen ihn, in Zukunft nicht nur als Komponist, sondern auch als Gesangsmeister, Regisseur und Dirigent für das Theater zu arbeiten. Als 30-jähriger unterschreibt Donizetti beim großen Theaterdirektor Barbaja einen Vertrag, demzufolge er in den kommenden vier Jahren gleich zwölf Opern liefern soll. Zwei Jahre später heiratet er die Tochter eines römischen Juristen, Virginia Vasselli. Die folgenden Jahre sind von beruflichen Erfolgen geprägt: Donizettis musikalische Komödie L’elisir d’amore wird ebenso gefeiert wie die Opern Maria Stuarda und Lucia di Lammermoor und bringen ihm eine Professur am Real Collegio di Musica in Neapel ein.

Doch die Erfolge werden durch Bellinis Tod getrübt, Donizetti trauert um den Verstorbenen und komponiert ein Lamento, ein Requiem und eine Sinfonie mit musikalischen Themen des Komponistenkollegen. Private Schicksalsschläge nehmen zu – zunächst sterben zwei seiner Kinder kurz nach ihrer Geburt, bald darauf auch seine Frau Virginia. Ein Jahr nach Virginias Tod – Roberto Devereux wurde uraufgeführt – verlässt Donizetti Neapel und geht nach Paris. In seinen letzten Jahren, die von immer stärkeren Migräneanfällen geprägt sind, entstehen zwischen Paris, Neapel, Rom, Wien und Mailand noch elf von insgesamt 71 Opern. Das Arbeitspensum, viele Reisen, Ärger mit Primadonnen, Librettisten und mit der Zensur nagen an der Physis des Komponisten. Ab 1842 verschlimmert sich sein Gesundheitszustand, 1843 wird Don Pasquale in Paris uraufgeführt. 1844 kann er zum ersten Mal eine Oper, Caterina Cornaro, nicht selbst einstudieren – sie floppt. Zwei Jahre darauf veranlasst sein Neffe Andrea, den teilweise Gelähmten und oft von Krämpfen geschüttelten Komponisten in eine Pariser Nervenheilanstalt einzuliefern. Nachdem sich der Gesundheitszustand Donizettis rapide verschlimmert, wird er 1847 zurück nach Bergamo gebracht, wo er gepflegt wird und schließlich 1848 stirbt.

 

Der Traum vom letzten Wort

Don Pasquale erzählt vom letzten Traum eines betagten Herren – sein wahres Alter möchte er nicht preisgeben, bekennt nur, er sei »in den Siebzigern«. Aus der Sicht der Jüngeren muss er uralt gewesen sein, lag doch die durchschnittliche Lebenserwartung zur Entstehungszeit der Oper im 19. Jahrhundert bei Mitte 40. Den Zenit seines Lebens längstens überschritten, träumt Pasquale von der Liebe einer jungen Frau, die ihn sich lebendig fühlen lässt. Doch sein Traum entwickelt sich nach der Eheschließung zum Albtraum, und innerhalb kürzester Zeit verliert Pasquale die Autorität über seine Angetraute. Seine Vision gewinnt an Dynamik und bemächtigt sich seiner auf fast surreale Art. Während die drei intriganten, jungen Gegenspieler Malatesta, Norina und Ernesto mit ihrem Spiel immer deutlicher die Vorstellung Pasquales beherrschen, nimmt das Theater seinen Lauf.

Bis zu Norinas erstem Auftritt als Sofronia vergehen in der Oper etwa 25 Minuten, in denen über das Aussehen und Benehmen einer idealen Frau fantasiert wird. Doch bereits am Beginn ihrer Kavatine ist klar, dass sie mitnichten den Erwartungen ihres künftigen Ehemannes entsprechen wird. Vier Mal wird sie in der Oper auftreten und immer eine andere Norina oder Sofronia geben oder, wie die Regisseurin Caterina Panti Liberovici sagt: »Norina schlüpft immer in die Rolle, welche die anderen von ihr erwarten. « Auf die voreheliche Frage Pasquales, ob seine künftige Braut gerne ins Theater ginge, antwortet Sofronia, dass sie nicht einmal wisse, was das sei, und spielt doch selbst von Anfang an eine Rolle. Kaum ist der Ehevertrag unterschrieben, entspinnt sich ein Streit: Sofronia will plötzlich ins Theater und wird vom alten Ehemann beschimpft, der dafür von ihr eine Ohrfeige fängt.

 

Der alles verändernde Schlag

Das Pariser Publikum der Uraufführung zeigte sich entsetzt über die Ohrfeige Sofronias bzw. Norinas. Die Handgreiflichkeit einer im Rang niedrigeren Frau gegenüber einem nicht nur älteren, sondern auch adeligen Herrn kam einem Affront gleich und entsprach nicht dem damaligen Frauenbild. Die Zuschauer favorisierten wohl eher die Darstellung einer fragilen statt einer sich selbst behauptenden Protagonistin.

Mit der Ohrfeige wendet sich innerhalb kürzester Zeit das Blatt. Pasquale, der am Stückbeginn noch wie ein bemitleidenswerter Alter wirkt und von der Erfüllung seiner letzten Sehnsucht träumt, wird plötzlich der Lächerlichkeit preisgegeben und zum Aufgeben gezwungen. Resigniert gibt er klein bei: »Tutto dimentico, siate felici, com’io v’unisco, v’unisca il ciel!« / »Ich vergesse alles, werdet glücklich! Und wie ich euch vereine, vereine euch der Himmel!« Doch das letzte Wort bleibt Norina, die sich mit ihrer Moral an das Publikum wendet: Wehe dem, der im hohen Alter eine Frau sucht! Und gerade weil der Titelfigur das letzte Wort versagt ist, muss man Pasquale lieben. Denn sein Traum, sich an der Seite einer Frau noch einmal zu spüren, ist jäh geplatzt.


DON PASQUALE
Gaetano Donizetti 1797–1848

Opera buffa in drei Akten / Uraufführung 1843, Théâtre-Italien, Paris / Text von Giovanni Domenico Ruffini und Gaetano Donizetti / In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

PREMIERE Freitag, 6. November
Bockenheimer Depot

VORSTELLUNGEN 7., 8., 11., 13., 14., 15., 17., 18., 21., 24., 25. November

MUSIKALISCHE LEITUNG James Hendry / Simone Di Felice INSZENIERUNG Caterina Panti Liberovici BÜHNENBILD Sergio Mariotti KOSTÜME Raphaela Rose LICHT Joachim Klein DRAMATURGIE Deborah Einspieler 

DON PASQUALE Donato Di Stefano / Simon Bailey DOKTOR MALATESTA Mikołai Trąbka / Danylo Matviienko° ERNESTO Francisco Brito / Michael Porter NORINA Florina Ilie / Simone Osborne EIN NOTAR Pilgoo Kang°

°Mitglied des Opernstudios