• Magazin Klassik
  • Radio Klassik Stephansdom
  • # 18 | Herbst 2020
  • S. 14-16

Beethoven: Bürgerlich und revolutionär oder im Adel geborgen?

Text: Otto Biba

In: Magazin Klassik, # 18 | Herbst 2020, Radio Klassik Stephansdom, S. 14-16 [Hörermagazin]

Beethoven, der bürgerliche Künstler. Beethoven, der musikalische Sendbote der Französischen Revolution. Beethoven, der emanzipierte Musiker. Beethoven, der freischaffende Komponist. Beethoven, der Revolutionär in der Musikszene.

Solche und ähnliche Schlagworte prägen das Klischee unseres Beethoven-Bildes. Wann und warum sie entstanden sind, soll uns hier nicht beschäftigen. Aber warum wir immer noch mit diesem Missbrauch Beethovens in längst historisch gewordener Tagespolitik leben, darüber sollten wir zumindest nachdenken. Sein Vater war Mitglied einer fürstlichen Hofkapelle. Beethoven lernte Musik in diesem Milieu kennen und fand in fürstlichen Diensten seine erste (und zeitlebens einzige) Anstellung: Als von einem hochadeligen Mäzen gefördertes Wunderkind wurde er Organist in der Kurfürstlichen Hofkapelle zu Bonn. Dieser Mäzen, Kurfürst Maximilian Franz, war der Bruder des Kaisers Joseph II., als Sohn Maria Theresias am Wiener Kaiserhof groß geworden und musikalisch ausgebildet. Dieser sandte den in seinen Diensten stehenden jungen Beethoven zu musikalischen Studien nach Wien, sozusagen mit einem Stipendium, denn er war von seinem Dienstherrn auch in Wien weiterhin besoldet. Joseph Haydn, Albrechtsberger, Salieri und Johann Baptist Schenk waren hier seine Lehrer und machten Beethoven zu dem, als den wir ihn schätzen. Aber kurz nachdem Haydn seinen ersten Bericht über Beethovens Fortschritte an den Kurfürsten gesandt hatte, kam dem schönen Projekt, ein Bonner Wunderkind in Wien zum Meister machen zu lassen, die große europäische Politik dazwischen.

Im Zuge der Koalitionskriege besetzten 1792 französische Truppen die linksrheinischen Reichsgebiete, der Landesfürst Maximilian Franz wurde vertrieben. Er rechnete eine Zeitlang noch mit der Wiederherstellung der alten politischen und höfischen Ordnung, in die Beethoven würde zurückkehren können, kam 1794 tatsächlich für wenige Monate wieder nach Bonn, das er bald aber wieder verlassen musste, erkannte schließlich die Realität und ging nach Hetzendorf bei Wien ins Exil, wo er 1801 gestorben ist.

Beethoven sah sich zur Jahresmitte 1794 genötigt, selbst für seinen Lebensunterhalt in Wien zu sorgen. Das Kurfürstentum gab es nicht mehr und die französischen Besatzer in Bonn überwiesen ihm nichts mehr. Für’s erste tat er sich als habsburgisch-österreichischer Patriot hervor. Er schrieb patriotische Musik aller Art und huldigte Kaiser Franz mit Variationen über „Tochter Zion freue dich“ aus Händels Oratorium „Judas Makkabäus“. Denn der Kaiser wurde mit dem biblischen Judas Makkabäus gleichgesetzt. Wie dieser die Makkabäer vor feindlichen Eindringlingen bewahrte, so würde dies Kaiser Franz tun. Ihm würde man dann wie Judas Makkabäus zujubeln: „Seht er kommt mir Preis gekrönt“. Händel schlug auch die Brücke nach England, das mit Österreich in einer Allianz verbündet war, weshalb Beethoven noch mehrere auf diesen Verbündeten abzielende Kompositionen schrieb. – Also keine Spur von Sympathien für Frankreich (das ihm nicht zuletzt auch seine Heimat genommen hat) und für die Französische Revolution.

Er arbeitete hier – wie zwanzig Jahre zuvor Mozart – als Klavierlehrer sehr fortgeschrittener Schüler in der sogenannten besseren Gesellschaft und trat als Pianist in den Salons des Großbürgertums und vor allem des Adels auf. Das war seine gesellschaftliche, berufliche und musikalische Welt. In den Konzertsälen ist er zwar schon gegen Ende 1795 und zu Jahresbeginn 1796 erstmals aufgetreten, aber es dauerte, bis er nach und nach dort heimisch geworden ist, und zwar erst als Pianist und dann als Komponist.

Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz, Fürst Karl Alois Lichnowsky, Fürst Ferdinand Kinsky, Reichsgraf Moritz von Fries, bei ihnen fühlte sich Beethoven am meisten zuhause, aber nicht nur bei ihnen. Als er 1795 seine Klaviertrios op. 1 veröffentlichte, musste er sich um Subskribenten – Vorausbesteller – bemühen, die er im Adel suchte und fand. Von den 122 Subskribenten, die 158 Exemplare vorausbestellt hatten, kamen die allermeisten aus dem Adel. Er suchte die Nähe des Adels, genoss die dort gefundene Anerkennung, machte zwar etliche kritische Bemerkungen (viel mehr wurden ihm posthum in den Mund gelegt), suchte auch stets seine künstlerische Unabhängigkeit zu wahren, strebte aber immer nach der ihm Sicherheit gebenden Unterstützung durch den Adel. Diese betrachtete er als verdiente Förderung, wie sie ihm nur aus dieser sozialen Schicht zuteilwerden konnte. Um diese zu erreichen, musste er dort anerkannt sein. Und deshalb war seit seiner Ankunft in Wien der Adel die wichtigste Zielgruppe für Beethoven. Opportunist oder Realist? Wie auch immer, diese stets gesuchte Nähe zum Adel wurde für ihn zur Lebensmaxime. 

Als er 1809 erkannte, dass es sein langsam fortschreitendes Gehörleiden einmal unmöglich machen würde, als gemeinsam mit anderen musizierender Pianist Geld zu verdienen, suchte er konkrete Unterstützung beim Adel – und fand sie auch. Erzherzog Rudolph von Österreich sowie die Fürsten Lobkowitz und Kinsky setzten ihm eine sehr gut dotierte Rente aus, damit er ausschließlich für sein Schaffen leben könne. Er legte damit ganz bewusst – wie kein anderer Komponist – sein Schicksal in die Hand des Adels, vertrauensvoll und offensichtlich wohl erfahren.

Erzherzog Rudolph von Österreich, Bruder von Kaiser Franz, war musikalisch hoch begabt, Kompositionsschüler Beethovens, sein Mäzen und ihm schließlich freundschaftlich verbunden. Ihm widmete er zahlreiche Werke, für ihn komponierte er die Missa solemnis. Und für dessen Bruder, den Kaiser, wollte er auch eine Messe schreiben. – Beethoven, der revolutionäre „Adel-Hasser“? 

Die große Mehrzahl seiner Kompositionswidmungen galt überhaupt Adeligen. – Beethoven, der bürgerliche Künstler? 

Er lebte bis zu seinem 24. Lebensjahr vom Gehalt, das ihm der Kurfürst bezahlte, und die letzten 18 Jahre seines Lebens von der hochadeligen Rentenzahlung und komponierte nur um des Schaffens willen. – Beethoven, der frei schaffende – also von seinen Kompositionen lebende – Komponist? Nein. Franz Schubert gab seinen Beruf mit „Compositeur“ an, nicht Beethoven; er brauchte dank adeligen Mäzenatentums gar keinen Beruf zu haben. 

In Beethovens Musik ist viel neu, wenn man so will, revolutionär. In seiner Biographie aber gar nichts. Er war vielmehr der letzte Komponist, den es ohne adeliges Mäzenatentum nicht gegeben hätte. Freilich, auch Haydn hätte es ohne Anstellung am Fürstlich Esterházyschen Hof und Mozart ohne Anstellung am Fürsterzbischöflichen Hof zu Salzburg und später am Kaiserlichen Hof in Wien nicht so gegeben, wie wir sie kennen. Aber in diesen Dienstverhältnissen hatten sie Pflichten und Rechte. Beethoven hatte ohne das eine wie das andere den Lebensunterhalt vom Adel. In ihm kulminierte die Bedeutung des Adels für die Musik. Nach Beethoven ist der Adel in dieser Rolle abgetreten.