• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • #37 | November / Dezember 2025
  • S. 52-53

Das Salz in der Suppe

Text: Daniel Hochreiter

In: Foyer5, #37 | November / Dezember 2025, Landestheater Linz, S. 52-53 [Publikumszeitschrift]

Die Saison des Bruckner Orchester Linz im Musiktheater ist gespickt mit Highlights. Doch eine Produktion strahlt ein Fünkchen heller: Wenn man durch die Reihen unserer Musiker:innen geht und fragt, auf was sie sich in dieser Musiktheater-Saison am meisten freuen, kommt oft folgende Antwort: Der Rosenkavalier. Chefdirigent Markus Poschner und der interimistische Künstlerische Direktor Daniel Hochreiter unterhalten sich über die Besonderheiten dieses Werkes, über die Herausforderungen und über das berühmte „Salz in der Suppe“
 

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Lieber Markus, Der Rosenkavalier von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal zählt bis heute zu den beliebtesten Werken des Opernkanons und ist in regelmäßigen Abständen auf den diversen Spielplänen der großen Häuser zu finden. Zu der Zeit der Uraufführung 1911 wurden sogar Sonderzüge von Berlin nach Dresden, dem Ort der Uraufführung, organisiert. Heute würde man von einem regelrechten „Hype“ sprechen. Was ist deiner Meinung nach das Besondere an dieser Oper?

Strauss und Hofmannsthal haben da sozusagen am Vorabend des Ersten Weltkrieges ein Werk geschaffen, das dem damals vorherrschenden Lebensgefühl entsprang: der Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“, nach Sicherheit, Ordnung und Orientierung. Alles war hingegen im Begriff sich aufzulösen, politisch, gesellschaftlich, ja auch physikalisch, wenn man an Einstein und seine Relativitätstheorie denkt. Das Alte hatte keine Gültigkeit mehr und das Neue verstand man noch nicht. Daraus ist eine Oper über den Wandel entstanden, über eine Zwischenzeit, ja über die Zeit schlechthin, die sowohl die feinen Nerven als auch die großen Gefühle bedient, die einfach alle Sinne anspricht – opulent, witzig, philosophisch, melancholisch und immer wieder absurd komisch.

Wann bist du erstmals mit dem Rosenkavalier in Berührung gekommen?

Ich hatte schon immer den Dirigenten Carlos Kleiber dafür bewundert, wie er besonders mit der Partitur des Rosenkavalier in alle musikalischen Extreme versucht hat abzutauchen. Und das gab es jeweils nur im Doppelpack mit der berühmten Otto-Schenk-Inszenierung zu erleben. Die kannte ich daher schon recht früh in- und auswendig.

Richard Strauss war ein Meister der Orchestrierung, der genau wusste, welche Instrumente wie kombiniert werden müssen, um einen bestimmten Klangcharakter zu erzeugen. Gibt es im Rosenkavalier besondere Momente dieser Strauss’schen Instrumentationskunst? Und wie arbeitest du diese Momente heraus, damit es nicht zu plakativ wirkt?

Zu den berühmtesten Momenten der gesamten Operngeschichte gehört sicherlich das einzigartige Schlussterzett ganz am Ende der Oper. Wie Strauss es dort schafft, von einem zum nächsten Moment über Harmonik, Stimmführungen und Klangmischungen alles zum Schweben zu bringen, einen traumhaften Zustand herzustellen inmitten all des Tumultes, ist unfassbar. Das taugt genauso gut als immergültige Kompositions-Meisterklasse. Wenn man sich genau an all das hält, was Strauss an Tempo, Dynamik und sogar Agogik vorschreibt, kann es eigentlich niemals plakativ oder gar kitschig werden. Alles hängt von der exakten Dosierung ab – das gilt allerdings für das gesamte Werk gleichermaßen, besonders aber für die vielen Rubati während der ausgiebigen Walzer-Momente.

Das Orchester ist dicht, opulent und großbesetzt und dadurch ergeben sich Herausforderungen beim Zusammenspiel mit dem Gesangsensemble. Wie gehst du die Frage der Balance an?

Das ist immer eine enorme Herausforderung und hängt nicht zuletzt extrem von Bühnenbild, Akustik und Personenregie ab. Beim Rosenkavalier begleiten ja meistens über 90 Musikerinnen und Musiker eine einzelne Stimme. Es erfordert enorme Konzentration und auch Aufopferungsbereitschaft, permanent ans dynamische Limit des Machbaren und auch drüber hinauszugehen. Gleichzeitig darf man aber nicht alles einfach nur dynamisch abflachen und einstampfen, da bliebe dann lediglich ein monotoner Einheitsbrei übrig. Alle im Orchestergraben müssen jeden Moment die Singstimmen auf der Bühne nicht nur genau kennen, sondern diesen auch permanent folgen, um jederzeit darauf reagieren zu können, ähnlich wie es bei einer Mozart-Oper gang und gäbe ist. Mit dem Unterschied, dass dort lediglich 30 bis 40 Spieler:innen am Werke sind. Eine Strauss-Partitur, wie die des Rosenkavalier wirklich zu bewältigen, gehört zur allerhöchsten Orchesterspielkunst, die überhaupt möglich ist.

Die Rubati und die flexiblen Tempi prägen den Walzercharakter und die Komik. Diese rhythmischen Nuancen machen das gewisse Extra aus.

Ja, das ist das Salz in der Suppe: der freie Umgang mit den Tempi. Das geht nur, wenn Bühne und Orchestergraben völlig miteinander verschmelzen, also völlige Freiheit im Umgang mit dem Notentext. Dazu müssen sich alle in der Partitur zu Hause fühlen, also perfekt vertraut sein mit dem Stück. Das benötigt viel Zeit, die wir uns Gott sei Dank nehmen konnten. Die ersten Proben mit den Sänger:innen fanden ja schon Ende Mai statt, also 5 Monate vor der Premiere.

Dieses „freie Spielen“, das du bei den Proben von den Musiker:innen immer wieder verlangt hast, ist nur, wie du sagst, durch vollkommenes Verinnerlichen des Stückes erreichbar. Inwieweit ist das beim Rosenkavalier vielleicht relevanter als bei anderen Opern?

Wir haben tatsächlich nach den Orchesterproben immer wieder spaßeshalber diskutiert, was ist nun eigentlich wirklich das Schwierigste: eine Elektra, eine Salome oder doch der Rosenkavalier? Wir waren uns alle einig, es ist der Rosenkavalier! Gerade weil die vielen Walzer so viel Raum für Freiheit anbieten. Je nach Atmosphäre oder emotionalem Zustand der Protagonisten kann das Orchester das kommentieren, antreiben, karikieren oder konterkarieren. So gesehen fungiert das Orchester wie ein weiterer Treibsatz der Handlung, als eine eigene Kommentarebene, wenn man versteht, diese auch zu bedienen.

Der Rosenkavalier ist trotzdem nicht unumstritten: Das Publikum liebt diese Oper, aber die Kritiker rümpften bei der Uraufführung die Nasen. Und auch die musikalische Avantgarde seiner Zeit, zu der Strauss nach Salome und Elektra absolut dazugehörte, verstand den Rosenkavalier eher als Rückschritt oder gar als Verweigerung gegenüber einer künstlerischen und ästhetischen Weiterentwicklung. Kannst du diesen Vorwurf nachvollziehen?

Nachvollziehen kann ich das, aber verstehen tue ich es nicht. Der Partitur des Rosenkavalier die Modernität abzuerkennen ist freilich albern. Das radikal Neue ist ja eben gerade die multiperspektivische Haltung dahinter, das ständige Schalten und Walten zwischen den Genres und das perfekte Austarieren der jeweiligen Stilmittel dafür. Strauss und Hofmannsthal haben für dieses Meisterwerk erst eine eigene Sprache erfinden müssen, jeder auf seinem ureigensten Gebiet, so kommt es mir zumindest vor. Dass Strauss kompositorisch nicht einfach linear den eingeschlagenen Weg seiner Elektra weitergehen konnte, liegt auf der Hand: da war die Tonalität schlicht am Ende, es konnte nicht weitergehen. Er musste für sich neue Lösungen finden, so wie das andere auch getan haben, denken wir da nur an Strawinsky.

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