Raum-Klang-Wunder
Dass der Grazer Stefaniensaal zu den besten Konzertsälen der Welt zählt, ist unter Kennern kein Geheimnis. [...]
Text: Josef Beheimb
In: Magazin, 2/25, Styriarte, S. 14-15 [Publikumszeitschrift]
[...] Die Styriarte 2025 erinnert daran, indem sie das Eröffnungskonzert von 1908 mit Beethovens Neunter wieder aufleben lässt.
In den Annalen der steirischen Landeshauptstadt ist die Weihe des Stefaniensaals ein Kuriosum, denn sie hat gleich zweimal stattgefunden: am 4. November 1885 vor Kronprinz Rudolf und dessen Gemahlin Stefanie von Belgien – daher der Name des Saals; und dann noch einmal am 28. November 1908 für den Saal in seiner heutigen Form samt neuem Stiegenhaus mit Glaskuppel und angeschlossenem Kammermusiksaal. An beiden Abenden stand Beethovens Neunte auf dem Programm, in beiden Fällen waren die Grazerinnen und Grazer vom klingenden Ergebnis begeistert, doch welche war nun die wahre Geburtsstunde des Raum-Klang-Wunders „Grazer Stefaniensaal“?
Die Styriarte hat sich für das Ereignis von 1908 entschieden, weil erst damals die Emporen eingezogen wurden und die sakrale Aura des ersten Saals einem modernen Raumkonzept Platz machte. Gleichzeitig wurde die Akustik verbessert, wovon das Publikum bis zum heutigen Tag profitiert. Unter der Leitung von Hans Rosenstainer war das Aufgebot an prominenten Solisten erheblich: Der gefeierte Pianist Max Pauers spielte Schumanns a-Moll-Konzert und mit Johanna Grä fin Hartenau die Beethoven-Variatio nen von Saint-Saëns für zwei Klaviere. Alois Kofler, der Organist der Stadtpfarrkirche, griff für ein großes Orgelwerk von Bach in die Tasten, während sich im Solistenquartett der Neunten die großen Opernstimmen ein Stelldichein gaben.
Vergleicht man diese Besetzung mit der Styriarte-Neuauflage von 2025, so werden Epochengrenzen sichtbar. Am 26. und 27. Juni wird eine Frau am Dirigentenpult stehen, die schon zuvor den Abend an der großen Orgel eröffnet: die Grazer Domkapellmeisterin Melissa Dermastia. Das Solistenquartett wird nicht mehr wie 1908 von einer hochdramatischen Sopranistin angeführt, sondern von Maria Ladurner, die sich wie ihre Kolleg:innen am leichteren Gesangsideal der Beethoven-Zeit orientiert. Auch im Styriarte Festspiel-Orchester und im Konzertchor der Dommusik herrscht das Klangideal eines verschlankten, historisch aufgerauten Beethoven vor.
Dies hängt natürlich mit der Geschichte der Styriarte in diesem Saal zusammen: mit den unvergesslichen Aufführungen unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt. Das Prinzip der Klangrede, das der Grazer Maestro mit dem Chamber Orchestra of Europe, dem Concentus musicus und dem Arnold Schoenberg Chor so faszinierend entfaltet hat, ist im Stefaniensaal noch allgegenwärtig. Wo Harnoncourt einst die Neunte vom Firnis der Tradition reinigte, wo im Rahmen der Styriarte seine schlicht epochale Einspielung aller Beethoven-Sinfonien entstanden ist, kann auch heute nicht mit Pomp und Plüsch musiziert werden.
DO, 26. & FR, 27. Juni
Stefaniensaal, 19 Uhr
Beethovens Neunte
Das Programm von der Eröffnung des Stefaniensaales im November 1908
Bach, Saint-Saëns, Schumann, Beethoven
Maria Ladurner, Margot Oitzinger Mario Lerchenberger, Mathias Hausmann Philipp Scheucher & Olga Čepovecka, Klavier Konzertchor der Dommusik Styriarte Festspiel-Orchester Dirigentin: Melissa Dermastia