• Der Fürst von Pappenheim
  • Erzgebirgische Theater und Orchester
  • Rarität, Saison 2023/24
  • S. 6-9

Spielwütige und melodienselige Spektakel

Regisseur Christian von Götz im Gespräch mit Dramaturg Lür Jaenike

Interview: Lür Jaenike

In: Der Fürst von Pappenheim, Rarität, Saison 2023/24, Erzgebirgische Theater und Orchester, S. 6-9 [Programmheft]

Lür Jaenike
Christian von Götz, nach dem großen Erfolg Deiner Erstaufführungsproduktion von Ralf Benatzkys „Der reichste Mann der Welt“ – die Produktion gewann den Spielzeit-Frosch des Bayrischen Rundfunks und wurde auf DVD veröffentlicht – kehrst Du nun mit einer weiteren Ausgrabung einer Operette der Zwischenkriegsjahre nach Annaberg-Buchholz zurück. Was interessiert Dich an diesem Genre so sehr?

Christian von Götz
Mich interessieren diese Werke so, weil es sich um „Zeitoperetten“ handelt.

Lür Jaenike
Was meinst Du damit?

Christian von Götz
Ich benutze den Begriff als Pendant zu dem der „Zeitoper“, den Opern der Weimarer Republik, also Krenek, Karol Rathaus, Hindemith usw. Viele dieser Werke handeln von der Lebensrealität der Entstehungszeit, von den Modern Times, wie z. B. der großartige „Maschinist Hopkins“ von Max Brand. Bei den „Zeitoperetten“ ist es genauso. Sie spiegeln auf verführerisch anarchische Weise das schillernde, temposüchtige Berlin der Jahre zwischen 1918 und 1933. Das interessiert mich immens, auch weil das Theatralisieren dieser Atmosphäre sich so gut mit meinem Regiestil deckt.

Lür Jaenike
Kannst Du das genauer erläutern?

Christian von Götz
Ich meine die Schnelligkeit und die Kontraste, die in den Szenen möglich sind, das Verrückt-Grelle, mit dem ich auf die Figuren leuchten kann und die Gelegenheit für häufige szenische Überraschungen. Diese Stücke können tänzerische, spielwütige, melodienselige Spektakel sein, die voll sind von den zentralen Zeitthemen: Die Lebensgier, der Glamour, die Verruchtheit der 1920er Jahre – der ganze große Tanz auf dem Vulkan, aber auch – zu mindestens in meiner Inszenierung – die Schattenseiten der Zeit, die Inflation, die Armut in Berlin, das Aufkommen der Nazis, der Antisemitismus.

Lür Jaenike
Und warum der „Fürst von Pappenheim“? Was hat Dich speziell an diesem Werk interessiert?

Christian von Götz
Zuerst einmal hat mich der Komponist Hugo Hirsch interessiert, der jüdisch war, wie so viele Bühnenkünstler in der Zeit. Er hatte gigantische Erfolge im Berlin der 1920er Jahre, aber er taucht nirgends in den heutigen Spielplänen auf. Seine Songs haben aber zum Teil einen fast magischen Sog.

Lür Jaenike
Hat Dich auch dieses merkwürdige Mode-Sujet interessiert?

Christian von Götz
Ja, ich fand, dass das der perfekte „Gulli-Deckel“ sei, um theatral in das Zwanziger-Jahre-Berlin einzusteigen: Schein und Sein, die schöne Fassade und die elende Realität, Glamour auf der einen, Hunger und Säuglingssterben auf der anderen Seite. Das alles war Berlin in den 1920ern. Und dann hat mich natürlich auch das Uraufführungsdatum 1923 angefixt, weil mich einfach diese hundert Jahre, diese Achse 1923 – 2023 interessiert hat.

Lür Jaenike
Das musst Du erklären!

Christian von Götz
Da kann ich einfach aus einer hinzugefügten Szene, die am Ende des zweiten Teils vorkommt, zitieren. Dann spoiler ich zwar ein wenig, aber das ist glaub ich zu verkraften. Die Szene geht in etwa so:

(...)
Curt: Aber was sind denn die Themen unserer Zeit?
Egon: Wie meinen Sie?
Curt: Na die Themen von 23.
Egon: Welches 23?
Curt: 1923, 2023, Sie werden merken, dass da einige Themen ziemlich ähnlich sind. Erst mal die Sonnenseite: „Diversität”.
Egon: (begeistert) Ja!
Curt: „Lebensgier”.
Egon: Ja!
Curt: „Feminismus”!
Egon: Ja! (singt) „Raus mit den Männern aus dem Reichstag! Und rein mit den Frauen in den Reichstag!“
Curt: Jetzt die Schattenseite: „Inflation”.
Egon: (gedämpft) Ja!
Curt: „Notverordnungen”.
Egon: Oh, ja!
Curt: „Erstarkung der extremen Rechten”.
Egon: Furchtbarerweise: Ja!
Curt: „Antisemitismus”.
Egon: (desperat) Ja! Entsetzlich. (ruft) „Nie wieder“ ist heute.
(...)

Lür Jaenike
Das ist interessant. Ich picke mir da mal das erste Thema heraus: Diversität.

Christian von Götz
Das war in den 1920ern in Berlin ein großes Thema. Berlin war auch eine sehr schwule und lesbische Stadt und wegen der Zensurlockerung konnten auch diverse queere Clubs und Kabaretts bestehen. Im „Fürst von Pappenheim“-Film von 1927 gibt es eine kurze Szene, in der Curt Bois als Egon ein Kleid trägt. Diese Szene haben später die Nazis für ihre antisemitische Propaganda missbraucht, die Szene kam sogar im widerlichen antisemitischen Hetzfilm „Der ewige Jude“ vor. Gerade deshalb habe ich diese kurze Szene zu einem der Hauptpflöcke der Regiekonzeption umgedeutet. Über allem steht „Verwandelt Euch!“, auch im Sinne von „Entpuppt Euch!“ oder „Findet zu Euch!“

Lür Jaenike
Dem auf diese eingefügte Szene folgenden Couplet hast Du einen eigenen Text gegeben. Ist das so üblich?

Christian von Götz
Ja, die beiden Anfangsstrophen sind original, zwei Strophen sind von Richard Glöckner und die Curt-Bois-Strophe ist von mir angelegt.

Lür Jaenike
Hast Du Dich im Übrigen weit von der Stückvorlage entfernt?

Christian von Götz
Dadurch, dass ich den Bogen von 1923 bis 2023 spannen wollte, habe ich mich zum Teil von der Vorlage entfernt. Natürlich ist die Musik original und auch der grundsätzliche Plot. Im Detail aber – in den Bögen der Figuren usw. – ist vieles neu, auch textlich im Dialog. Ich bin aber überzeugt, dass ich durch den freien Umgang mit der Vorlage dichter an das Stück und an 1923 herangekommen bin, als wenn ich es „nach Buch“ inszeniert hätte.