• Die Fledermaus
  • Staatstheater Nürnberg
  • Operette von Johann Strauß, Saison 2023/24
  • S. 16-22

Das klingt ans Ohr

Text: Wiebke Hetmanek

In: Die Fledermaus, Operette von Johann Strauß, Saison 2023/24, Staatstheater Nürnberg, S. 16-22 [Programmheft]

Zugegeben, es war ein schlechter Scherz, den betrunkenen Freund im Fledermauskostüm zum Gespött der Leute werden zu lassen. Aber rechtfertigt er, Eisenstein auf dem Fest derart vorzuführen? Entschuldigt Adeles Angst vor dem Aufdecken ihrer eigentlichen Identität die öffentliche Verspottung ihres Chefs? Wo er doch sogar im Recht ist? Ist der arme Mann also tatsächlich „übel dran“, wie es im Finale heißt? Mitnichten! Eisenstein amüsiert sich ja offensichtlich selbst gern auf Kosten anderer. Ungeniert erzählt er seiner Frau von der Gefängnisstrafe, die er antreten wird, und geht stattdessen mit seinem dämlichen Uhrentrick hausieren. In der „Fledermaus“ haben wir es mit einer Gesellschaft zu tun, die sich gegenseitig nichts schenkt. Schadenfreude und Rache halten die Handlung in Bewegung, und hinter der oberflächlichen Operettenseligkeit brodelt es unheilvoll. Sehr zum Amüsement des Publikums.


Tanzkapellmeister

Johann Strauß war ein Tanzmusikkomponist und hatte mit seinen Verpflichtungen als Kapellmeister eigentlich alle Hände voll zu tun. Seine beiden ersten Operetten hatten lediglich Achtungserfolge erzielt, was mit schlechten Libretti entschuldigt wurde. Und tatsächlich wäre der Welterfolg, den Strauß mit seiner dritten Operette, „Die Fledermaus“, erlangte, ohne die Mitarbeit von Richard Genée nicht denkbar gewesen. Genée war Kapellmeister, Librettist und zuweilen auch Komponist am Theater an der Wien. Ihm vertraute die Direktion die Aufgabe an, aus dem französischen Schauspiel „Le Révellion“ (etwa: „Der Weihnachtsabend“) ein Libretto für Johann Strauß zu schreiben. Das Theaterstück der beiden Offenbach-Librettisten Meilhac und Halévy war in Paris 1872 unglaublich erfolgreich gewesen – u. a. auch deswegen, weil zum ersten Mal echte Speisen auf der Bühne gegessen wurden. Bei der Umwandlung in ein Operettenbuch entfernte sich Richard Genée erheblich vom Original, und auch die Idee, die ganze Handlung durch den Racheplan des nachtragenden Falke zu motivieren, geht auf seinen Einfall zurück.


Unerschöpflicher Melodiker

Vor allem aber schuf Genée einen Text, der dem Komponisten größtmöglichen Entfaltungsspielraum bot: Der erste Akt ist im Stil einer Konversationskomödie gehalten. Im intimen Rahmen werden die Hauptfiguren vorgestellt, und die Handlung kommt in Gang. Indem Genée nun den zweiten Akt von dem ursprünglichen mitternächtlichen Weihnachtssouper in einen rauschen Ball verwandelt, gibt er Strauß die Gelegenheit, seinen größten Trumpf ausspielen zu können: Sein Talent für Tanzmusik – Polka, Walzer, Csárdás und Galopp. („Das klingt ans Ohr und rieselt durch das Blut hinab bis in die Beine“, schrieb die „Morgenpost“ nach der Uraufführung.) Der dritte Akt schließlich führt alle Fäden wieder zusammen, es gibt eine kurze und heftige Enthüllungsszene, die mit der These, der Champagner sei an allem schuld, eine Versöhnung möglich macht und im nötigen Happy End mündet.

Johann Strauß greift diese Gattungsvielfalt dankbar auf und komponiert eine Fülle von Musik, die ihn als schier unerschöpflichen Melodiker auszeichnet. Wie viele dieser Melodien nicht von ihm selbst, sondern von Genée komponiert wurden, ist nicht abschließend geklärt. Ein Großteil der Instrumentation stammt aber tatsächlich von seinem unermüdlichem Mitarbeiter.


„O je, wie rührt mich dies!“

Es ist nicht nur dieses Feuerwerk an musikalischen und rhythmischen Einfällen, das diese Operette zu einem Meisterwerk macht, sondern auch die enge Verzahnung der Musik mit einem Text, der alles andere als harmlos ist. Immer wieder wird die Doppelbödigkeit des Geschehens entlarvt. Zu keinem Zeitpunkt ist vergessen, dass wir es hier mit einem Racheplan zu tun haben. Doch nicht nur Dr. Falke spielt ein doppeltes Spiel. Es gibt kaum eine Situation, in der die Figuren ehrlich miteinander umgehen. Das Abschiedsterzett des ersten Aktes ist geradezu ein Musterbeispiel von Heuchelei: Während Gabriel und Adele in Gedanken schon halb auf dem Fest von Orlofsky sind, freut sich Rosalinde auf ihr Rendezvous mit Alfred. Aber kein Wort davon. Textlich stellt das Terzett das Konstrukt der bürgerlichen Vernunftehe bloß (wenn etwa Rosalinde lediglich bedauert, dass ihr „zum Rindfleisch, wie zur Suppe und zum Braten“ der Mann fehlt). Musikalisch aber parodiert Strauß das Pathos der großen Oper. Beides kulminiert in der schon sprichwörtlich gewordenen Zeile: „O je, o je, wie rührt mich dies!“ Weiter geht es mit Direktor Frank, der sein Gefängnis euphemistisch als „schönes, großes Vogelhaus“ anpreist, während Alfred hingebungsvoll den liebevollen Gatten mimt. Nichts ist so, wie es scheint – und das kann man vor allem in der Musik hören.


Lass das traute Du uns schenken“

Erlaubte der erste Akt einen Blick hinter die Fassade der bürgerlichen Kleinfamilie, so zeigt uns der zweite Akt die Aufsteigermentalität ihrer Mitglieder. Denn hier geht das Vorspielen falscher Tatsachen mit einem sozialen Rollentausch einher. Das Bürgertum gibt sich adelig: Die Männer werden zum Marquis bzw. Chevalier befördert, die Dame zur ungarischen Gräfin. Und selbst Adele mutiert in der Robe ihrer Herrin zur zweifellos schillernderen Existenz als Schauspielerin. Und dann dürfen sie einen Abend lang all das machen, was ihnen ihre Stellung, ihre Reputation, ihr bürgerliches Denken sonst nicht erlaubt. Allen voran Eisenstein, der von einer maßlosen Selbstüberschätzung gesteuert wird und seine eigene Mittelmäßigkeit nicht akzeptieren kann. Er glaubt sich am Ort seiner Bestimmung. Es ist die Sehnsucht des kleinen Mannes nach der Welt der Reichen und Schönen. Der Adel, namentlich in Gestalt von Orlofsky, guckt amüsiert zu, während sich das aufstrebende Bürgertum gegenseitig zerfleischt.

Wenn im 2. Finale dann Bruderschaft getrunken wird, glaubt selbst das Publikum für einen Augenblick an ein klassenübergreifendes Bündnis. Es ist ein Moment der Utopie und vielleicht der einzige, in dem wirklich alle auf der Bühne, einschließlich die Musik, ehrlich sind. Doch bekanntlich hält er nicht lange vor, und so platzt schließlich die Blase im ernüchternden dritten Akt. Wer sich nun warum an wem gerächt hat und wer wem was zu verzeihen hat – da möge sich jeder seinen eigenen Reim drauf machen.


„Glücklich ist, wer vergisst“

Strauß zeichnete mit dieser Operette ein Bild des zeitgenössischen Bürgertums, seiner eigenen sozialen Klasse, die zur Zeit der Uraufführung gerade mit einer anderen geplatzten Blase zu tun hatte: Am 9. Mai 1873 war die Wiener Börse zusammengebrochen, der Tag ging als „Schwarzer Freitag“ in die europäische Wirtschafts-Geschichte ein. Viele bürgerliche Aufstiegsträume wurden an diesem Tag zunichte gemacht.

Bezeichnenderweise haben die Zeitgenossen nicht erkannt, welch Spiegel ihnen von Genée und Strauß vorgehalten wurde – vielleicht wussten sie es selbst nicht. Die Kritiken der Uraufführung am Ostersonntag 1874 gehen weder auf die parodierende Musik noch den hintersinnigen Witz des Textbuches mit seinen boshaften Seitenhieben auf die bürgerliche Klasse ein. Man wollte sich die Champagner-Laune nicht verderben lassen. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“

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