• Lucia di Lammermoor
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Gaetano Donizetti, Saison 2023/24
  • S. 23-26

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Text: Wiebke Hetmanek

In: Lucia di Lammermoor, Oper von Gaetano Donizetti, Saison 2023/24, Staatstheater Nürnberg, S. 23-26 [Programmheft]

„Lucia di Lammermoor“ ist ein Kind ihrer Zeit und typisch für Gaetano Donizetti: Das „dramma lirico“ entstand unter großem Zeitdruck innerhalb von wenigen Wochen, die Partien wurden den Sängerinnen und Sängern in die Kehle geschrieben, und der Librettist Salvatore Cammarano hatte mit der Romanvorlage von Walter Scott auf einen Bestseller-Autoren gesetzt, der in ganz Europa in Mode war. Untypisch ist eigentlich nur, dass „Lucia di Lammermoor“ noch heute zu den beliebtesten Opern zählt und regelmäßig auf den Opernbühnen weltweit zu sehen ist. Von den über 70 Werken, die Donizetti geschrieben hat, trifft das auf die wenigsten zu.


The Bride of Lammermoor“

An Walter Scott liegt dieser langanhaltende Erfolg sicherlich nicht. Die Handlung basiert zwar auf einem seiner Romane, „The Bride of Lammermoor“, aber Salvatore Cammarano hat Scotts Geschichte für das Libretto dermaßen entschlackt, Personen eliminiert, Motivationen verändert und die Verläufe vereinfacht, dass herzlich wenig vom Original übriggeblieben ist. Cammarano verlegte Scotts Handlung zudem noch weitere hundert Jahre zurück, wodurch jegliche geschichtliche Verortung vermieden wird – ein erprobter Weg, die Zensurbehörden zufrieden zu stellen. Allerdings dient der historische Hintergrund auch bei Scott in erster Linie dazu, die verfeindeten Familien in gegnerischen Lagern zu verorten. Die schottische Variante der „Romeo-und-Julia“-Geschichte ereignet sich bei ihm kurz nach der „Glorreichen Revolution“ (1688/89), die sich um die Eigenständigkeit Schottlands drehte und bei der sich die liberalen Whigs und die konservativen Tories gegenüberstanden. In der Oper wird dieser historische Hintergrund in wenigen Sätzen abgehandelt.

Cammaranos Eingriffe sind zwar umfassend, aber auch nicht weiter ungewöhnlich für die Bearbeitung eines Romans in einen Operntext. Sein Libretto besticht dafür durch klare Figurenzeichnungen, den Verzicht auf Nebenhandlungen und die Konzentration auf den Konflikt zwischen den drei Protagonisten. Heftige Emotionen, Liebe wie Hass, prallen aufeinander, intime Szenen wechseln mit großen Tableaus – eine ideale Vorlage also für Gaetano Donizetti.
 

König der Romantiker

Der Rückgriff auf einen Roman von Walter Scott geschah nicht nur, um die Zensur zu umgehen. Der schottische Autor war im 19. Jahrhundert einer der meist gelesenen Autoren. Robert Louis Stevenson bezeichnete ihn als „König der Romantiker“. 1814 hatte Scott seinen ersten Roman, „Waverley“, unter Pseudonym veröffentlicht – er fürchtete, dass eine schriftstellerische Tätigkeit seinem Brotberuf als Jurist schaden könnte. In schneller Folge erschienen „The Bride of Lammermoor“, „Ivanhoe“, „Rob Roy“ oder „Kenilworth“. Seine Romane traten eine Schottlandbegeisterung in Europa los, die nicht nur eine Touristenwelle an die schottische Küste spülte, sondern auch zahlreiche Kunstschaffende inspirierte: Mendelssohn Bartholdy schrieb eine „Schottische Sinfonie“ und die „Hebriden-Ouvertüre“, Schubert vertonte Lieder auf Texte von Ossian; Gustave Doré und Caspar David Friedrich widmeten sich den berühmten Highlands. Der von Walter Scott eingeführte historische Roman etablierte sich als eigenständige Gattung und fand u.a. in Victor Hugo, Charles Dickens oder Theodor Fontane bedeutende Vertreter. Und auch die Opernbühne hat sich zügig seiner Stoffe bemächtigt: 1819 schrieb Rossini „La donna del lago“, François-Adrien Boieldieu komponierte 1825 „La dame blanche“, und der Roman um den Kreuzritter Ivanhoe inspirierte Heinrich Marschner zu „Der Templer und die Jüdin“, Otto Nicolai zu „Il templario“ und Arthur Sullivan noch 1891 zu seiner Oper „Ivanhoe“. Auch Scotts 1819 erschienener Roman „The Bride of Lammermoor“ war bereits vor Donizetti viermal auf die Opernbühne gebracht worden.


„Lucia di Lammermoor“

„Lucia di Lammermoor“ ist die erste Zusammenarbeit zwischen Donizetti und Cammarano. Donizetti hatte sich 1834 verpflichtet, drei Opern für Neapel zu komponieren. Es war die erste Spielzeit von Cammarano als fest angestellter Autor an den Königlichen Theatern von Neapel. Er wurde mit dem Textbuch für Donizetti beauftragt, das Sujet stand Mitte Mai 1835 fest, Anfang Juli war die Komposition abgeschlossen. Text und Musik entstanden innerhalb von sechs Wochen. An den Autoren lag es also nicht, dass die Uraufführung verschoben wurde und erst am 26. September 1835 stattfand. Die Theaterdirektion war mal wieder hoffnungslos zerstritten, was den Spielbetrieb für kurze Zeit lahmgelegt hatte.

Dafür wurde die Uraufführung einer der größten Erfolge für das neapolitanische Teatro San Carlo. Die Titelrolle sang Fanny Persiani. Donizetti kannte sie und ihre stimmlichen Möglichkeiten bereits aus einer früheren Zusammenarbeit. Sie war eine der großen Sängerinnenpersönlichkeiten ihrer Epoche und hatte noch eine lange, europaweite Karriere vor sich. Doch nicht nur Fanny Persiani war eine exzellente Besetzung. Die Tatsache, dass Edgardo nach der großen Szene und dem Tod der Lucia seine Arie erhält und damit die Oper beendet, lässt darauf schließen, dass auch der Tenor der Uraufführung ein Ausnahmesänger gewesen sein muss: Donizetti selbst hatte Gilbert Duprez als Edgardo verpflichtet. In der Publikumsgunst stand er seiner berühmten Partnerin nicht nach, v.a. seit er als einer der Ersten das berühmte „hohe C“ mit Bruststimme gesungen hatte…


Renaissance durch Maria Callas

„Sie hat gefallen, sie hat sogar sehr gefallen, wenn ich dem Beifall und den Komplimenten trauen darf, die mir gemacht wurden“, schrieb Donizetti nach der Uraufführung. Schnell wurde seine neueste Oper in ganz Italien nachgespielt und schließlich auch in Europa. Für die Pariser Oper schrieb er eine französische Version, die sich ebenfalls einige Jahrzehnte im Repertoire hielt. Eine Renaissance des Stücks setzte Mitte des 20. Jahrhunderts ein, nachdem sich Maria Callas der Titelpartie angenommen hatte. Ihre Lucia war nicht nur gesanglich eine Bravourrolle. Sie legte auch großen Wert auf die szenische Interpretation der tragischen Figur. Seitdem rücken neben den musikalischen auch wieder die inhaltlichen Aspekte der Oper in den Vordergrund. Beide machen „Lucia di Lammermoor“ auch für das 21. Jahrhundert interessant.

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