• Miameide
  • Sirene Operntheater
  • 21.-30. September 2023
  • S. 12-13

Werknotiz Miameide

Text: Julia Purgina

In: Miameide, 21.-30. September 2023, Sirene Operntheater, S. 12-13 [Programmheft]

Eine Oper über Pflanzen zu schreiben, war für mich Herausforderung und Anliegen gleichermaßen. Kristine Tornquists Libretto lässt viel Freiraum für die Musik und das Unaussprechliche. Mit wenigen und präzisen Worten schafft sie eine Handlung, die unterschiedlichste Welten öffnet und Figuren, die diese Welten dominieren, beherrschen, vernichten oder im positiven Sinne: beleben und aufblühen lassen.

Mia ist eine Hauptfigur, die sich in keiner der ihr angebotenen Welt- und Lebensentwürfe zuhause fühlen kann und ihre eigene Welt bleibt den anderen genauso unerreichbar, fremd und lächerlich. Kompositorisch war es für mich erstrebenswert, eben genau jene unzugängliche und geheimnisvolle Welt den Zuhörer*innen auf sinnliche Weise erfahrbar zu machen; den Schlüssel zu dieser Welt zu finden, und sie auf subtile Art und Weise immer wieder auch in die anderen Welten hineinwachsen zu lassen; somit leise anzudeuten (nicht missionarisch hinauszuschreien), dass dereinst diese geheime Welt der Pflanzen alles umschlungen haben wird, was zunächst so stark und vereinnahmend zu sein scheint. So verhält es sich in dieser Oper mit dem musikalischen Geschehen ähnlich wie mit Pflanzen in der Natur: Man muss ihnen Zeit geben, damit sie sich ihren Weg ebnen, um sich voll entfalten zu können. Selbst unwirtliche Bedingungen halten sie nicht von ihrem stillen Streben ab, konsequent ihr Netz weiter zu flechten.

Den Bühnenfiguren steht ein (gesichtsloses) Vokalensemble im Graben gegenüber. Diesem ist weder Handlung noch Text zugewiesen, dafür ist es das wichtigste musikalische Bindeglied zwischen der instrumentalen und vokalen Klangwelt und auf einer anderen Ebene auch der Wegweiser in die klangliche Welt der Pflanzen.

Das Vokalensemble vermittelt aber auch zwischen Instrumentalensemble und den solistischen Bühnenfiguren. An dramaturgisch wichtigen Punkten verschmelzen die Sänger*innen des Solist*innenensembles mit den Stimmen des Vokalensembles: zunächst noch von der Bühne herab und danach zusehends auch hinter der Bühne. Die Metamorphose der teilweise abstoßenden Bühnenfiguren wird dadurch eingeleitet.

Allerdings geht es in meiner Vorstellung in dieser Metamorphose weniger um eine Umwandlung der einzelnen Personen, sondern vor allem ein Überwachsen, ein Zudecken, ein Überwuchern der unsozialen, kalten und abweisenden Welt per se: die Bühnenfiguren – und mit ihnen auch die Härte der kapitalistischen Welt – verschwinden zusehends, werden von Pflanzen musikalisch umrankt, in eine andere Welt hineingezogen. Diese Welt ist subtiler, empathischer, stiller und reflexiver. Sie ist ein Imaginationsraum, der zur utopischen Realität werden darf.

Diese inneren Bilder bedingen eine kompositorische Arbeit, die mit klaren instrumentalen und vokalen Farben, erweiterbaren Fragmenten, wiedererkennbaren Flächen, zarten und starken Linien sowie affektiven Stimmungen arbeitet. Wichtig war mir in diesem Zusammenhang vor allem eine harmonische Sprache, die modulationsfähig ist und die teilweise auch modale Anklänge beinhaltet, die von einem slawischen Volkslied stammen, das zur harmonischen Klammer der Oper wird. Es ist eine ähnliche Drehscheibe zwischen den Welten wie das Vokalensemble.

Das kompositorische Material wird in mehreren Schichten und auf unterschiedlichste Weise kombiniert und musste flexibel genug sein, um in mehreren Ebenen auftauchen und sich auch gegenseitig überwuchern zu können. Formal ist es mit diesem Material und der Setzweise möglich, ein Wurzelwerk zu schaffen, das zwar von starken Kontrasten unterbrochen wird, aber immer wieder an die Oberfläche zurückkommt.

Wenn ich eine Vision mit meiner Komposition verfolge, dann vielleicht diejenige, dass die Pflanzen, musikalisch gesprochen, nicht Besitz von der realen Welt ergreifen. Im Gegenteil: Sie sorgen dafür, dass diese Welt besser und lebenswerter wird. Sie heilen sie von innen heraus, indem sie mit ihren Wurzeln Risse kitten, mit ihren Blättern ein schützendes Dach schaffen, mit ihrem Moos eine weiche Unterlage liefern. Würden wir sie einfach machen lassen, würden wir mehr von ihnen zurückbekommen, als wir ihnen jemals gegeben haben. In diesem Sinne ist auch das sparsame kompositorische Material zu verstehen, das wenig braucht, um sich entfalten zu können. Am Ende entsteht eine klangliche Utopie, getrieben von der Sehnsucht nach einer lebenswerten Natur, die sich jenen Raum nehmen darf, der ihr ohnehin gehört.