• Talestri – Königinnen der Amazonen
  • Staatstheater Nürnberg
  • Oper von Maria Antonia Walpurgis, Saison 2022/23
  • S. 15-18

Galant im Stil, eloquent in der Aussage

Text: Wolfgang Katschner

In: Talestri – Königinnen der Amazonen, Oper von Maria Antonia Walpurgis, Saison 2022/23, Staatstheater Nürnberg, S. 15-18 [Programmheft]

Wenn man die Musik von „Talestri“ charakterisieren will, kommt man an der Idee des „galanten Stils“ nicht vorbei. Wie Marpurg schreibt, sollte die Musik einfach und eingängig sein, sich von den alten Kompositionstechniken des Kontrapunkts und des Kanons absetzen. Die zweite wichtige Strömung, die Maria Antonia Walpurgis maßgeblich beeinflusst hat, ist die Opera Napoletana oder Neapolitanische Schule. Sie hatte ab den 1720er Jahren großen Erfolg in ganz Europa. Der Klang dieser Musik lässt sich sehr vereinfachend gesagt zwischen Spätbarock und Vorklassik einordnen. Mit Nicola Antonio Porpora (1686-1768) und Johann Adolph Hasse (1699-1783) waren zwei der wichtigsten Musiker dieser Stilrichtung im 18. Jahrhundert die direkten Lehrer und Berater der späteren sächsischen Kurfürstin.

Musik am Dresdner Hof

Die Heiratspolitik der Fürstenhäuser Bayerns und Sachsens brachte Maria Antonia Walpurgis im Jahr 1747 an den Dresdner Hof. Dort waren Oper, Konzert und Kammermusik fester und wichtiger Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Sie selbst war glänzend künstlerisch ausgebildet, hatte Singen, Malen, Dichten, Klavierspielen und auch Komponieren studiert. Wie ihr Bruder Maximilian III. Joseph (1727-1777) konnte sie absolut professionell und auf der Höhe der Zeit für Sänger und Orchester komponieren.

Die Libretti für ihre beiden Opern verfasste sie selbst, ihr Lehrer in dieser Sache war der italienische Dichter Pietro Metastasio (1698-1782), der fast sein ganzes Leben in Wien als Hofdichter verbrachte. Metastasio kann man als Libretto-Papst des 18. Jahrhunderts bezeichnen. Seine Texte wurden in ganz Europa gespielt und vertont. Maria Antonia Walpurgis selbst wurde 1747 in die in Rom ansässige „Accademia dell’Arcadia“ aufgenommen und trug dort den Namen Ermelinda Talea, unter dem sie fortan auch ihre Texte und Kompositionen veröffentlichte.

Prägende Musikpersönlichkeiten

In Dresden fand sie mit der Hofkapelle eines der berühmtesten Orchester des 18. Jahrhunderts vor. Dieses Orchester hatte viele zu ihrer Zeit berühmte Virtuosen als Mitglieder. Zu den prägenden Erscheinungen gehörte der Geiger Johann Georg Pisendel (1687-1755), der von 1712 an bis zu seinem Tod als Geiger und Konzertmeister tätig war. Pisendel steht geradezu exemplarisch für die künstlerischen Verbindungen und den Austausch zwischen der italienischen und der deutschen Musikwelt in dieser Zeit. Er lebte zwischen 1716 und 1717 in Venedig direkt im Haus von Antonio Vivaldi und konnte mit seinen dort gewonnenen Erkenntnissen in Dresden entscheidende Impulse setzen.

Johann Adolph Hasse war dort von 1730 bis 1763 Kapellmeister und prägte gemeinsam mit seiner Frau, der Sängerin Faustina Bordoni, die musikalische Kultur weit über die Grenzen Sachsens hinaus. Er wurde zum Lehrer und Berater von Maria Antonia Walpurgis, und sein Stil ist es auch, der die Musik von „Talestri“ sehr stark prägt.

Ebenfalls stilbildend war die Beziehung zu dem Komponisten und Gesangslehrer Nicola Porpora (1686-1768). Er weilte von 1747 bis 1752 in Dresden, führte den Titel eines Hofkapellmeisters und unterrichtete Walpurgis in der Kunst des Singens. Porpora war zu dieser Zeit als Gesangslehrer eine europäische Berühmtheit. Der auch heute noch bekannte Kastrat Farinelli und viele andere erfolgreiche Sänger kamen aus seiner Schule.

Orchesterbesetzung

Das „Orchestra di Dresda“, wie Vivaldi es in seinen Widmungen nannte, wurde seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts mit Streichern, 2 Flöten, 2 Oboen, 2 Fagotten, 2 Hörnern und begleitenden Akkordinstrumenten wie Cembalo und Theorbe besetzt. Für genau diese Besetzung ist auch „Talestri“ komponiert, und so führen wir dieses Werk im Jahr 2022 in Nürnberg auf.

Die Oper „Talestri“ ist das Werk einer hochgebildeten und kreativen Frau aus der Zeit der Ständegesellschaft, die durch ihre Position als Adlige in der Lage war, ihre künstlerischen Fähigkeiten leben zu können. Die Story des Werkes ist gleichsam eine gesellschaftliche Utopie, die heute wieder bemerkenswert aktuell wirkt. Trotzdem ist „Talestri“ natürlich ein Kind ihrer Zeit, und bei einer modernen Aufführung stellt sich immer die Frage, wie man Aktualität und Zeitlosigkeit hörbar machen kann und das Werk trotzdem im Kontext der Entstehungszeit belässt. Die Quellensituation ist dabei außergewöhnlich bequem, denn Walpurgis ließ ihre Oper in Leipzig bei Breitkopf drucken. Opern waren Saisonware für eine Serie von Aufführungen. Man druckte zwar das Libretto, um es dem Publikum zum Mitlesen an die Hand zu geben, die Partituren und Stimmen wurden allerdings meist nur handschriftlich verfasst. Deshalb sind heute viele Stücke verschollen oder nur schwer wieder zu rekonstruieren.

Nürnberger Fassung

Seccorezitative und Accompagnati sind für die aktuelle Nürnberger Fassung sehr stark gekürzt und ins Deutsche übertragen worden. Damit sichern wir für das heutige Publikum die unmittelbare Verständlichkeit der Handlung. Die für das 18. Jahrhundert so typischen Kastraten gibt es heute nicht mehr. Die Gesangspartien der Oper haben wir mit den Sängern eines modernen Opernhauses besetzt, die zeitgemäße Schauspielkunst mit den Erfordernissen des Singens von barocker Musik kombinieren. Mit Ray Chenez singt ein Countertenor im Sopranfach die Rolle des Oronte und gibt damit dem Klang des Vokalensembles einen atmosphärischen Hauch der versunkenen Kastratenwelt, vor deren Hintergrund auch „Talestri“ komponiert wurde, gleichwohl hier keine Kastratenrollen vorgesehen waren.

Die Nürnberger Philharmoniker spielen die Musik des Rokoko auf modernen Instrumenten, aber historisch informiert. Zusammen mit dem Einsatz von historischen Barockbögen für die Streicher, diversen historischen Techniken für Artikulation und Phrasierung sowie Cembali und Theorben für den Basso continuo ergibt sich ein dem galanten Stil entsprechendes Klangbild. Und so erwacht die beeindruckende Kunst der Maria Antonia Walpurgis auf der Bühne des Nürnberger Opernhauses zu neuem Leben.