• Magazin
  • Oper Frankfurt
  • Januar / Februar 2023
  • S. 6-7

Sich in die Stille verlieren

Vito Žuraj und Händl Klaus im Gespräch

Text: Mareike Wink

In: Magazin, Januar / Februar 2023, Oper Frankfurt, S. 6-7 [Publikumszeitschrift]

Blühen ist eure erste Zusammenarbeit. Die Handlung der Oper basiert auf Thomas Manns letzter Erzählung Die Betrogene, geschrieben 1953. Warum habt ihr euch für diesen Stoff entschieden?

HÄNDL KLAUS Ich habe Vito den Stoff vorgeschlagen. Ausschlaggebend dafür waren seine Arbeiten für Frauenstimme und Chor. Seine Vokalwerke sind unverwechselbar und wie eine spannende Suchbewegung, die immer weitergeht.

VITO ŽURAJ Klaus erzählte mir sehr begeistert von dem Stoff. Daraufhin las ich Manns Novelle, die mich ebenfalls unmittelbar berührte. Ich hatte direkt Klangbilder im Kopf und sah in dem großen Umschwung von einer heißen Liebe zu der Erkenntnis, an einer tödlichen Krankheit zu leiden, ein immenses dramatisches Potenzial.

HK Wie Lieben und Sterben hier organisch ineinandergehen – das hat mich schon als Jugendlicher, als ich die Novelle zum ersten Mal las, erschüttert. Aber der gönnerhafte Ton, den der Erzähler bei Thomas Mann anschlägt, stellt sich so ungut zwischen die Protagonistin und ihr Erleben, dass ich Sehnsucht hatte, allein zu sein mit ihr. Mit einem Menschen, dem das Schönste und das Schrecklichste so elementar geschieht. In der Oper gibt es keinen allwissenden Kommentar, hier sind wir Aurelia und erfahren durch sie, wie körperliche Veränderungen das Erleben beeinflussen – und umgekehrt. Wie sich Lebensabschnitte ausbilden, aber auch aufbrechen lassen und im Sterben auflösen. Dank der Musik, die davon sprechen kann.

Welche musikalische Sprache findest du für die Pathografie?

VZ Ich wollte die Ahnung, dass später etwas mit Aurelia passieren wird, von Anfang an gedämpft mitklingen lassen. Dementsprechend hören wir am Beginn der Oper murmelnde Passagen in den tief gestimmten Instrumenten wie Kontrabass, Tuba, Bassklarinette und Kontrafagott. Dieses Material könnte man als musikalische »Krebs-Gestalt« bezeichnen. Das Murmeln ist wie die Krankheit, die in einen Körper hineinkriecht und sich langsam ausbreitet. Es kehrt in den Zwischenspielen bruchstückhaft wieder, bis es sich im sechsten Bild mit der Diagnose des Arztes konkretisiert. Und tatsächlich wird sich auch die Musik im Moment des Sterbens in gewisser Weise auflösen, das Instrumentarium dünnt sich aus. Ein Vokalensemble aus zwölf Stimmen (Sopran / Alt / Tenor / Bass) begleitet Aurelias Weg. Die Partie von Aurelia und die des Vokalensembles gehen im finalen siebten Bild ineinander über; während sich ihre Worte reduzieren, nimmt etwas Gestalt an, das außerhalb von ihr liegt. Es ist ein Sterben in Ruhe. Eine Ruhe, die das Libretto ermöglicht.

Wie sind die Figuren in der Oper gezeichnet?

VZ Aurelia ist eine große Solopartie für Mezzosopran. Für mich ist sie eine melancholische Figur. Ich habe ihr einen Spektralakkord zugewiesen, der ihre Gedanken, die in die Vergangenheit gerichtet sind, untermalt. Anna, die einen Klumpfuß hat, sehe ich als ein schüchternes und emotional gekränktes Mädchen, das seine Liebe bisher nicht ausleben konnte. Für sie, eine Sopranpartie, habe ich das Klavier mit einem bestimmten Tonvorrat eingesetzt. Es sind stockende Impulse, die in andere Instrumente übertragen werden. Weil Anna und Aurelia miteinander verwandt sind, in einer eigenartigen Symbiose leben und in manchem auch ähnlich fühlen, nutze ich das Material in verlangsamter Form später im Werk auch für Aurelia.

HK Aurelia und Anna spiegeln einander innig und schonungslos. Beide wollen einander beschützen und ermutigen. Annas Urvertrauen in die Liebe ist nach einer enttäuschenden Erfahrung erschüttert. Also möchte sie auch ihre Mutter vor einer großen Enttäuschung bewahren. Aurelia will ihrer Tochter dagegen zeigen, dass Liebe keine Grenze kennt, auch keine Altersgrenze.

VZ Annas Bruder Edgar, ein Bariton, denkt nicht sonderlich intellektuell. Ich charakterisiere ihn durch Akkordeonklänge und den Morsecode der Buchstaben seines Vornamens. Es ist ein leicht erkennbares Material, das sich von allen anderen stark unterscheidet. Ken (Tenor) habe ich einen Harfenakkord und ein Saxofonsolo gegeben.

HK Ken scheint schlicht, austauschbar, schon sein Name ist einsilbig. Aber in Aurelias Augen, im liebenden Blick bekommt alles an ihm – sein Bewegungsmuster, sein freundlicher Blick, die »Kraft seiner kräftigen Arme«, seine »Freude an den Dingen«, das einfache Dasein – ein Gewicht und wird kostbar, unwiderstehlich.

VZ Das führe ich in der Musik weiter, indem ich Aurelia den kurzen Namen Ken in ausführlichen Melismen singen lasse. Ich liebe die Oper und Tenorarien, auch deshalb habe ich Kens Passagen sehr exponiert gestaltet. Seine Stimme fliegt über dem Ensemble und bekommt so – nicht nur für Aurelia – etwas Magnetisches. Dr. Muthesius ist ein Bass. Mit seinem Auftritt im sechsten Bild intensiviert sich die musikalische »Krebs-Gestalt«, er ist zudem mit dem tiefen Horn assoziiert. In der letzten Szene am Sterbebett von Aurelia kommt das gesamte musikalische Material dann nochmal stretto zusammen.

In Kürze beginnen die szenischen Proben. Welche Empfindungen und Gedanken verbinden sich mit diesem Moment?

VZ Ich freue mich auf den Probenprozess! Seit meiner Aufnahme in die Internationale Ensemble Modern Akademie 2009 bin ich fast jedem einzelnen Mitglied des Ensembles eng verbunden. Und es ist, als ob nun mein bisher größtes Werk von meiner musikalischen Familie zur Aufführung gebracht wird – eine große Wunscherfüllung. Auch mit dem Dirigenten Michael Wendeberg habe ich bereits öfter erfolgreich zusammengearbeitet. Die Sängerbesetzung ist wunderbar. Und ich empfinde es als ein großes Geschenk, dass mit Frau Fassbaender eine Regisseurin inszeniert, die selbst eine große Karriere als Mezzosopranistin erlebt hat. Sie weiß auch musikalisch, was sie tut und wird die Charaktere – gerade Aurelia – durch ihre sängerische Erfahrung ganz bestimmt zusätzlich bereichern.

HK Brigitte Fassbaender gab mir als Intendantin des Tiroler Landestheaters vor über zwanzig Jahren den allerersten Auftrag für ein Opernlibretto: Häftling von Mab vertont von Eduard Demetz. Es ist unglaublich und wunderschön, ihr jetzt so wiederzubegegnen! Ich freue mich auch auf die Begegnung mit dem Sängerensemble, dessen Stimmen ich beim Schreiben im Ohr hatte, und vor allem brennend auf Vitos Musik.