• Pimpinone / Herzog Blaubarts Burg
  • Staatstheater Nürnberg
  • Lustiges Zwischenspiel von Georg Philipp Telemann / Oper von Béla Bartók, Saison 2020/21 (Auszug)
  • S. 31-33

Der Klassiker der Moderne

Text: Wiebke Hetmanek

In: Pimpinone / Herzog Blaubarts Burg, Lustiges Zwischenspiel von Georg Philipp Telemann / Oper von Béla Bartók, Saison 2020/21 (Auszug), Staatstheater Nürnberg, S. 31-33 [Programmheft]

Es war einmal ein mysteriöser Ritter, der seiner Frau zwar viel Reichtum zur Verfügung stellte, ihr aber verbot, ein bestimmtes, verschlossenes Zimmer zu betreten. Als er auf Reisen gehen musste, übergab er ihr sämtliche Schlüssel des Hauses und wiederholte abermals das Verbot, das geheimnisvolle Zimmer zu betreten. Die Frau, von Neugier getrieben, öffnete dennoch die verbotene Kammer und fand darin die Leichen der früheren Ehefrauen ihres Mannes. Der wurde wegen seines blauen Bartes nur Ritter Blaubart genannt. Für das Ende dieses Märchens gibt es verschiedenen Versionen – mal retten die Brüder die Frau vor dem zurückkehrenden Blaubart, mal verschwindet sie selbst hinter der verschlossenen Tür. Jede Zeit hat ihren eigenen Schluss für diese Geschichte gefunden, der immer auch etwas über das Verhältnis der Geschlechter erzählt.

Der Fluch der Neugier

Der Stoff reicht bis ins 6. Jahrhundert zurück, wo von einem Mann die Rede ist, der seine Frauen umbringt, sobald sie schwanger werden. Die erste Niederschrift in der modernen Literatur findet sich bei Charles Perrault, der die Geschichte ab 1697 in seiner Märchensammlung veröffentlicht. Von ihm stammt auch der Name Barbe Bleue. Die Geschichte von Blaubart findet seine Verbreitung auch in den beliebten Bilderbögen des 18. Jahrhunderts, die das blutrünstige Geschehen farbenfroh ausmalen. In diesen frühen Versionen des Märchens ist Blaubart zwar ein grausamer Ritter, aber die Schuld am Unglück tragen in erster Linie die Frauen selbst, weil sie ihre Neugier nicht zügeln können – so auch in dem populären Märchen von Carl Bechstein (1854).

Veränderte Sichtweisen

Das ändert sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als das Bild des unfehlbaren Mannes allmählich ins Wanken gerät: Joris-Karl Huysmans blickt 1891 in seinem Roman „Là-bas“ in die psychischen Abgründe des Serienmörders Gilles de Rais, der als historisches Vorbild für Blaubart gilt; Maurice Maeterlinck schreibt die – von Paul Dukas vertonte – Geschichte von Ariane und Blaubart, in der Ariane sich weigert, das Verbot zu akzeptieren. Sie entdeckt hinter der Tür die Ex-Frauen, die allesamt noch am Leben sind, und befreit sie. (Allerdings löst nur sie sich tatsächlich von Blaubart, die anderen Frauen kehren zu ihm zurück.) Im Laufe des 20. Jahrhunderts schreiben immer mehr Frauen am Blaubart-Mythos mit. Pina Bausch etwa thematisiert in ihrem Tanztheaterabend 1977 die Unfähigkeit der Verständigung zwischen den Geschlechtern, und Ingeborg Bachmann beschäftigt sich in ihrem „Buch Franza“ (posthum 1978) mit der psychischen Gewalt, die vielen Frauen, von der Öffentlichkeit unbemerkt, von ihren Männern zugefügt wird.

Béla Balázs Das Libretto von Béla Balázs wird 1910 fertiggestellt und ist ganz in seiner Entstehungszeit verhaftet. Ähnlich wie Maeterlinck interessiert auch Balázs die Psyche seines Antihelden, und er verlegt den Schauplatz seines Einakters in die Seele Blaubarts: Mit jeder Tür, die Judith öffnet, legt sie ein Stück seines Innersten frei. Es sind insgesamt sieben Türen – und gleich hinter der ersten Tür entdeckt Judith mit der Folterkammer die brutale Ader ihres frisch angetrauten Ehemannes. Die psychologische Deutung des Blaubart-Stoffes speist sich einerseits aus den druckfrischen Erkenntnissen der Psychoanalyse und andererseits aus der Vorliebe des symbolistischen Dramas für innere Vorgänge. Balázs durchsetzt die moderne Form des Einakters zudem mit balladenhaften Elementen – es gibt einen gesprochenen Prolog – sowie einer märchenhaft einfachen Sprache, die mit zahlreichen Wiederholungen durchsetzt ist.

Drama in der Musik

Für Béla Bartók ist das Drama eine ideale Vorlage, vereint es doch wie Bartóks Musik volkstümliche Elemente mit zeitgenössischen Strömungen. Durch die Reduzierung auf zwei Personen und den Verzicht auf so gut wie jede äußere Handlung spielt sich das eigentliche Drama in der Musik ab: Im Orchester baut sich die Atmosphäre zwischen impressionistischen Klangwelten und expressionistischen Ausbrüchen auf. Zusammengehalten wird die Komposition durch den strengen formalen Aufbau des Dramas, den Bartók auch für seine Musik übernimmt. Der tonale Bogen etwa spannt sich vom fis-Moll des Beginns bis zum überwältigenden C-Dur bei der Öffnung der fünften Tür (weite Lande) und zurück zum fis-Moll am Ende. Dabei reizt Bartók die klassische Dur-Moll-Tonalität weit aus, u.a. indem er die volkstümliche Pentatonik verwendet. Verbindende Elemente sind zudem verschiedene Leitmotive, die Bartók ausgehend vom Text in seine Partitur integriert. Am eindringlichsten ist das Blutmotiv, bestehend aus einer kleinen Sekunde – zwei nebeneinanderliegende Töne, die dissonant aneinander reiben und immer dann auftauchen, wenn Judith hinter all den wundersamen Reichtümern immer wieder Blut entdecken muss.

Mit der Komposition von „Herzog Blaubarts Burg“ findet Béla Bartók zu seiner eigenen Sprache und emanzipiert sich von spätromantischen Tendenzen. Dass nicht alle seinen Weg mitgehen, wird darin deutlich, dass man sich erst nach der erfolgreichen Uraufführung seines Balletts „Der holzgeschnitzte Prinz“ auch an „Herzog Blaubarts Burg“ wagt. Die Zwischenzeit hat Bartók noch zu einigen Änderungen genutzt, so dass am 24. Mai 1918 in Budapest bereits eine revidierte Fassung uraufgeführt wird. Es sollte nicht die letzte bleiben. Die Premiere war ein großer Erfolg, dennoch verbreitete sich das Werk eher zögerlich in Europa. Heutzutage gilt Bartóks einzige Oper als Klassiker der Moderne.

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