• Foyer5
  • Landestheater Linz
  • # 22 | Jänner - März 2022
  • S. 10-13

Applaus, Applaus, Applaus!

Darf man bei Richard Wagners «Parsifal» klatschen?

Text: Christoph Blitt

In: Foyer5, # 22 | Jänner - März 2022, Landestheater Linz, S. 10-13 [Publikumszeitschrift]

Der Volksmund sagt: „Applaus ist das Brot des Künstlers“. Und so ist das Schöne am Beifall, dass er der Hauptverantwortliche dafür ist, dass die Kommunikation zwischen Darsteller:innen und Publikum keine Einbahnstraße von der Bühne Richtung Zuschauerraum ist, sondern durch das Applaudieren auch in die andere Richtung funktioniert. Wie also die Schauspieler:innen, Sänger:innen, Musiker:innen und Tänzer:innen die ebenso freudvolle wie nicht immer leichte Aufgabe angenommen haben, das Publikum mit ihren Darbietungen zu unterhalten, zu bewegen oder gar zum Nachdenken anzuregen, so steht das Publikum auch in der Verantwortung, sich für all das mit dem Beifall zu bedanken, um damit alle an der Vorstellung Beteiligten zu erfreuen.

Allerdings ist besagtes Sprichwort vom klatschenden „Brot des Künstler“ auch nicht frei von zynischen Untertönen. So suggeriert es, dass die Darsteller:innen und Musiker:innen sich eben mit dem Beifall zufrieden geben sollen und gefälligst nicht noch weiteren Lohn für ihre Leistungen beanspruchen mögen. Umso unbefriedigender, wenn manchmal den Schauspieler:innen selbst noch der Applaus vorenthalten wird. So gab es am Wiener Burgtheater eine Anordnung, dass sich Ensemblemitglieder dieses traditionsreichen Hauses nicht vor dem Vorhang verbeugen durften, um den Beifall des Publikums entgegenzunehmen. Dieses Gebot meinte der Hof zu Wien am Ende des 18. Jahrhunderts erlassen zu müssen, da zum einen kein Applaus die Ehre aufwiegen könne, als Schauspieler:in oder Sänger:in in den Diensten des Kaisers zu stehen. Zum anderen sollten sich die auf der Bühne agierenden Hofangestellten aber auch nicht der sich im Beifall niederschlagenden Beurteilung durch das einfache Volk aussetzen müssen. Mögen derartige Denkmuster zur Zeiten der Donaumonarchie noch üblich gewesen sein, fragt man sich allerdings schon, warum dieses Verbeugungsverbot erst in der Spielzeit 1983/1984 aufgehoben wurde.

Auf der anderen Seite gab es aber auch Verordnungen, die dem Publikum das Händeklatschen verbieten wollten. So geschehen in Italien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Damals herrschten bekanntlich politisch unruhige Zeiten, in denen es permanent nach Revolution und Aufstand roch. Gerade die Opernhäuser, in denen immer viele Menschen auf engstem Raum zusammenkamen, galten hier als gefährliche Brutstätten von umstürzlerischen Ideen. Dementsprechend waren öffentliche Kundgebungen jeglicher Art dort untersagt. Zu selbigen wurde zeitweise eben auch das Applaudieren gezählt. Doch die opernbegeisterten Italiener:innen ließen sich ihren Beifall nicht nehmen. Wenn sie halt nicht in die Hände klatschen durften, so tat man notfalls – wie in Mailand geschehen – seine Zustimmung durch Husten und Naseputzen kund.

Ausbleibender Applaus kann aber wiederum auch eine Auszeichnung sein. Dementsprechend zeugt es von einer besonders spannungsgeladenen Theatervorstellung, wenn in der Oper oder dem Ballett das Verlangen, einzelne Nummern mit Szenenapplaus zu bedenken, dem Wunsch untergeordnet wird, den intensiven Fluss des Abends nicht durch Beifall zu unterbrechen. Und auch die Länge der stillen Pause zwischen dem Fallen des Vorhangs und dem Einsetzen des Applauses kann ein Indiz für eine besonders packende Aufführung sein

Ein Sonderfall in Hinblick auf Klatschen oder Nichtklatschen ist zweifelsohne Richard Wagners Parsifal. Hier war es der Komponist selbst, der für heftige Verwirrung sorgte. Er hatte anlässlich der Uraufführung dieses Werkes am 26. Juli 1882 im Rahmen der zweiten Bayreuther Festspiele verkündet, dass sich die Künstler:innen nicht nach den ersten beiden Aufzügen, sondern erst nach dem Schlussakt vor dem Vorhang zeigen würden. Das Publikum verstand das falsch, und dachte, es dürfe gar nicht applaudieren. Das irritierte wiederum Wagner, der völlig verunsichert meinte: „Jetzt weiß ich gar nicht, hat es dem Publikum gefallen oder nicht?“

Es kam aber noch schlimmer. Denn Wagner, der sich in eine Sängerin aus der Schar der so genannten Blumenmädchen, die im zweiten Akt auftraten, verliebt hatte, kam bei den Folgevorstellungen meistens nur zu der entsprechenden Szene in das Festspielhaus. War der Auftritt der Blumenmädchen vorbei, passierte etwas, was in diesen Räumlichkeiten (und nicht nur dort) heute undenkbar bei einer Parsifal-Aufführung wäre: Wagner spendete nämlich mitten im Akt herzlichen Beifall für seine Favoritin und deren Kolleginnen. Prompt wurde er vom Publikum in seinem eigenen Theater durch Zischen ermahnt, er solle sich ruhig verhalten, da er selbst schließlich ein Applausverbot ausgesprochen habe.

Diese Begebenheit ist typisch für das Verhältnis der Anhänger:innen Wagners zu ihrem Idol. Denn jene waren – wie man an dieser Anekdote sehen kann – oft päpstlicher als der Papst. Genau in dieser leicht verbissenen Auslegung des angeblichen Willens Wagners durch seine Jünger liegt auch ein Problem der WagnerRezeption insgesamt. Und so sah sich die Leitung der Bayreuther Festspiele zu Beginn des 20. Jahrhunderts genötigt, mit folgendem Aushang über den scheinbaren Willen des Meisters zu informieren:

„Da es zu lauten Klagen über den Umstand gekommen ist, dass nach den Aktschlüssen bei den Aufführungen des Parsifal von einem Teil des Publicums gezischt worden ist, um den Applaus zu unterdrücken, sieht sich die Festspielleitung veranlasst, die von dem Meister im Jahr 1882 selbst geäußerten Wünsche in Bezug auf Applaus und Nicht-Applaus dem verehrten Publikum kundzuthun. Das ruhige Verklingen des ersten Aktes schließt einen Applaus von selbst aus. Dagegen wünschte der Meister es ausdrücklich, dass nach dem 2. und 3. Akt das Publicum den Künstlern seinen Dank durch Beifall ausdrücke. Das Öffnen des Vorhanges am Schluss ist auf seinen Wunsch hin angeordnet worden und an dieser Bestimmung wird festgehalten.“

Um es aber noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Auch wenn der zitierte Aushang etwas anderes suggeriert, hat Wagner nie verboten, bei Parsifal nach den einzelnen Akten zu applaudieren. Lediglich die Sänger:innen zeigten sich bei den ersten Bayreuther Aufführungen erst am Ende der Vorstellung vor dem Vorhang, um den Beifall persönlich entgegenzunehmen. So ist es also auch heute den Besucher:innen einer Parsifal-Aufführung freigestellt, ihrem Drang nach Beifall oder auch – was man als Theater natürlich nicht hoffen will – nach Missfallensäußerungen nachzugeben.
 


PARSIFAL

BÜHNENWEIHFESTSPIEL IN DREI AUFZÜGEN VON RICHARD WAGNER
TEXT VOM KOMPONISTEN

Premiere 12. März 2022
Großer Saal Musiktheater

Musikalische Leitung Markus Poschner Inszenierung Stephan Suschke Bühne Momme Röhrbein Kostüme Angelika Rieck Dramaturgie Christoph Blitt Choreinstudierung Elena Pierini, Martin Zeller, Olga Bolgari Nachdirigat Ingmar Beck

Mit Martin Achrainer (Amfortas), William Mason (Titurel), Michael Wagner (Gurnemanz), Heiko Börner (Parsifal), Adam Kim (Klingsor), Katherine Lerner (Kundry), Jin Hun Lee / Domen Fajfar, Tomaz Kovacic (Ritter), Fenja Lukas, Vera Bitter, Seogmann Keum / Jin Hun Lee, Grégoire Delamare (Knappen), Ilona Revolskaya, Hanyi Jang, Jana Markovic, Fenja Lukas, Tina Josephine Jaeger, Vera Bitter (Klingsors Zaubermädchen), Vaida Raginskytė (Herzeleide, Stimme aus der Höhe)

Chor des Landestheaters Linz
Extrachor des Landestheaters Linz
Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz
Statisterie des Landestheaters Linz
Bruckner Orchester Linz

Mit magischen Klängen, bewegenden Klagegesängen, erotisch aufgeladenen Verführungsszenen, mystischen Chören sowie religiösen und männerbündischen Ritualen erzählt Richard Wagners Parsifal von Schuld, Sünde und Sühne, von der Sehnsucht nach einem Heilsbringer und von der versöhnenden Kraft des Karfreitagszaubers. Von nachgerade soghafter Wirkung ist dabei die Musik, die Wagner für sein Weltabschiedswerk schuf, das ein Jahr vor seinem Tod uraufgeführt wurde. Und so kann sich kaum jemand der Wirkung dieses veritablen „Bühnenweihfestspiels“ entziehen.

Weitere Vorstellungen
27. März, 9., 16., 30. April, 7. Mai, 5., 16. Juni 2022 | Die Vorstellungen beginnen jeweils um 17.00 Uhr

81. Sonntagsfoyer
Einführungsmatinee | 27. Februar 2022, 11.00
HauptFoyer Musiktheater