Nationaltheater Mannheim

Jedis gegen Punks

Roger Vontobel bringt eine gut verargumentierte «Lohengrin» Inszenierung auf die Bühne, Roberto Rizzi Brignoli debütiert mit Tempi, die Wagner wohl gefallen hätten. Richtig stimmig ist beides nicht

Daniela Klotz • 29. Oktober 2025

Eine Frau mit Humunkulus und Schwanenkind: Astrid Kessler (Elsa), Jonathan Stoughton (Lohengrin) und Statist © Christian Kleiner

Fast ganz in Weiß erscheint Lohengrin, um der bedrängten Elsa zu Hilfe zu eilen. Ein Engel soll er sein, der in die Welt der sich um die Vormacht streitenden alten und neuen Religion einbricht, um vielleicht doch noch alles gut werden zu lassen. Doch sein linker Ärmel läuft nach unten hin immer schwärzer werdend in eine schwarze Hand aus. Genauso wie der linke Arm des Schwanenknaben, der den Heilsbringer begleitet, in einem schwarzen Handschuh steckt. Wieso? Das bleibt ebenso unergründlich wie das Auftreten Elsas im verschmutzten Gewand mit Kapuzenanorak und offensichtlicher Angststörung. „Wie erscheint sie so licht und rein!“ heißt es im Text. 

Regisseur Roger Zumtobel hat sich in seiner Mannheimer Inszenierung auf die Gegensätzlichkeit der christlichen Welt der zum Krieg gerufenen Mannen Heinrichs des Voglers und der heidnischen derjenigen Brabanter, die noch der rachedürstenden Ortrud ergebenen sind, konzentriert. Weiß, mit Lichtschwertern und blutrot in die Gesichter geschriebenen Kreuzen erscheinen die einen. In schwarzem Punk-Look mit echten Schwertern und Kriegsbemalung die anderen. Für die Kostüme zwischen Jedi und Punk zeichnet Martina Lebert verantwortlich. „Gut“ im Sinne Parsifals ist natürlich keine der Parteien. Nicht einmal der während der Ouvertüre aus Urwassern entstehende Homunkulus Lohengrin. Letztlich kommt der von Gott gesandte Gralsritter ja auch nur, um Land zu gewinnen und in den Kampf für noch mehr Land zu ziehen. Dass er Elsa grad mal eine Nacht widmet und auch nur ein Jahr an ihrer Seite verbringen würde bzw. könnte, geht im Gesamtgeschehen meist unter. 

Es ist wirklich keine leichte Aufgabe, dieses martialische Werk mit seinen prallen kriegslüsternen Chören, den Verweisen auf die heute fremde mittelalterliche Denkweise und der nationalsozialistisch belasteten Rezeptionsgeschichte in Szene zu setzen. Fabian Wendling schafft dafür ein Bühnenbild, das aus einem düsteren Wald und einem daraus gewissermaßen herauswachsenden weißen Haus besteht. Der Wald ist die Heimat Ortruds, das Haus letztlich jene Elsas. Interessanterweise verweist das Programmheft darauf, dass das Haus ein Erzeugnis des Waldes ist, weil aus seinen Brettern gebaut. Jetzt könnte man tüfteln, was das für das Verhältnis Ortrud / Elsa bedeutet. 

Das Haus wird im Verlauf der Handlung Kirche und Brautgemach. Die ganze Szenerie ist auf der Drehbühne gelagert und entsprechend wandelbar – eine ziemlich gute Idee, die Clemens Walter und Jonas Dahl noch durch Videos verstärken, die auf zwei Ebenen projiziert werden. Die oben beschriebene Menschwerdung Lohengrins wird da gezeigt, aber auch die Schwanwerdung Gottfrieds, die Vorschau auf das Kriegsgeschehen und die Innenschau Elsas. Ortruds geheime Mächte hingegen werden durch vier dienstbare Waldgeister auf der Bühne materialisiert, die ihrer Herrin Stütze, deren Gegnerin Elsa manifestierter Albtraum sind. Das Ganze wäre grandios – wäre es nicht immer mehr überlagert und immer schneller in Bewegung, käme nicht noch die Führung der mit mehr oder minder sinnig mit den Rhythmen der musikalischen Vorgabe folgenden Aktionen betrauten Chormassen zu immerwährend neuen Bildern hinzu. 

Gerade im zweiten Akt sind die Seelenvögel bzw. Waldgeister und das auf Ortruds Kommando lodernde Feuer Hingucker. Spätestens im dritten Akt sind das projizierte Traumtanzen Elsas und das ewige Chorgeschiebe jedoch einfach zu viel. Immer ist irgendetwas in Bewegung und lenkt damit schlicht ab. Als nahezu peinlich muss man zudem die „Hängerchen“ werten, die verdeutlichen, dass Elsa und Lohengrin sich im Hochzeitsgemach entkleiden. Als (unfreiwilligen?) Gag hingegen, dass die wütend werdende Elsa die Dinger abreißt und sich damit wieder anzieht.

Der Heerrufer (Nikola Diskić) fungiert in seiner echsenartigen Aggressivität auch als Symbolfigur © Christian Kleiner

Roberto Rizzi Brignoli, sonst spezialisiert auf italienisches und französisches Repertoire, dirigiert an diesem Abend seinen ersten Wagner. Luzide gelingt ihm das Vorspiel, ebenso feinnervig der Beginn der Gralserzählung. Mit vollem Effet und Effekt hat er die berüchtigten Klangmassen und Effekte der Oper im Griff. Alistair Lilley stellt ihm dazu bestens präparierte Chöre zur Seite. Lediglich in der Mitte fehlt es irgendwie, da sind die Übergänge von feinnervig zu voluminös zu abrupt.

Sämtliche Solisten sind Ensemblemitglieder, alle haben große Leistungen mit bemerkenswerter Textverständlichkeit vollbracht. Bei allem Respekt vor der an diesem Abend auch vom Mannheimer Wagner-Verband gewürdigten Elsa, Astrid Kessler, muss an dieser Stelle der wunderbar wandelbare Joachim Goltz den Anfang machen, dessen Telramund stimmlich wie darstellerisch durchschlagend war. Patrick Zielke als Heinrich stand dem nicht nach und hatte noch dazu den Mut, sich mit seinem breiten Mantel der Konfrontation mit dem viel zu engen Durchgang in das Kirchenhaus zu stellen. Nikola Diskić als Heerrufer ließ gleich zu Anfang des Abends erahnen, was da stimmlich kommen könnte und ertrug mit Fassung das ihm von der Regie auferlegte echsenartige Zuschnappverhalten. Astrid Kessler gab eine zu Recht gefeierte Elsa mit allen Facetten der Partie und allen von der Regie geforderten Brüchen der Figur. Julia Faylenbogen war stimmlich wie darstellerisch ein herrlich furchtbares Punk-Weib Ortrud mit umfangreichem Mezzo und großer Geste. Jonathan Stoughton ein über den ganzen Abend tragender, wenngleich indifferenter Lohengrin, mit einer gewissen Steifheit, bei der nicht auszumachen war, ob sie Naturell oder Regievorgabe war. Des Weiteren waren noch die kleinsten Nebenrollen bestens besetzt. Das Ensemble wurde beim Schlussapplaus entsprechend gefeiert. Für das Dirigat hätte es mehr Applaus sein dürfen. Mit dem Regieteam konnte sich das Publikum offenbar anfreunden.


«Lohengrin» – Richard Wagner
Nationaltheater Mannheim · OPAL (Oper am Luisenpark)

Kritik der Premiere am 26. Oktober 
Termine: 8./16./23. November; 19. Dezember; 11. Januar