Theater Magdeburg

Wagners Wartburg im Fantasy-Mittelalter

Erstklassiger Wagner im Stadttheater: «Tannhäuser», vorbildlich dirigiert von Erik Nielsen und unterhaltsam inszeniert von Adele Thomas, als Fest verheißungsvoller Stimmen

Werner Kopfmüller • 16. September 2025

Orgie in der Fantasy-Grotte © Andreas Lander

Am Ende hält er es doch noch in Händen, das ersehnte, Erlösung verheißende Büschel Grün. Elisabeth hat sich von ihrer Totenbahre herabbegeben und streckt es dem Sterbenden entgegen. „Der Gnade Heil ist dem Büßer beschieden / nun geht er ein in der Seligen Frieden“ schmettert dazu der Pilgerchor.

Damit bleibt Adele Thomas, gebürtige Waliserin und Co-Intendantin der Welsh National Opera, nah an der Vorlage, in ihrer Inszenierung der Dresdner Fassung von Wagners «Tannhäuser» am Theater Magdeburg. Elisabeth ist vorausgegangen, ihr Geliebter folgt ihr, nunmehr entsündigt und erlöst, nach in Gottes Gnadenreich. Was als Schlussbild für sich genommen kitschverdächtigt wäre, korrespondiert auf anrührende Weise mit Tannhäusers Ringen um das eigene Seelenheil, verweist zurück auf das grüne Zweiglein, das, gepflückt von Gottes Gnadenbaum, ihm vorher noch in seinen Händen entblättert. Der Amerikaner James J. Kee verkörpert den Minnesänger als Schmerzensmann mit zotteliger Prinz-Eisenherz-Frisur, als an sich selbst verzweifelnden und zugleich bußfertigen Flagellanten im Pilgerzug nach Rom.

Statt sich an einer Ausdeutung von Wagners – bei Lichte betrachtet –Erlösungs-Salbader zu versuchen, steuert die Regie von Thomas auf der Bühne und in den Kostümen von Cécile Trémolières in die Gegenrichtung. Sie treibt die eher holzschnittartige Anlage der Figuren lustvoll auf die Spitze, bis hin zur ironischen Brechung. 

James J. Kee (Tannhäuser) und Johannes Stermann (Landgraf Hermann) inmitten einer Wartburg-Szene, die auch ein wenig an die Passionsfestspiele in Oberammergau denken lässt © Andreas Lander

Die Welt des Venusbergs und der Wartburg-Gesellschaft entspringen so einem gemeinsamen Kosmos, der irgendwo zwischen Fantasy-Mittelalter und katholischen Passionsfestspielen à la Oberammergau zu verorten wäre. Warum auch nicht? Wagners Bild von den immer opferbereiten Frauen ist heutzutage kaum mehr ernst zu nehmen. Obendrein würde man seinem Tannhäuser einen ausgewachsenen Madonna-Huren-Komplex attestieren. Die Liebesgöttin Venus (sirenenhaft und glockenklar: Jadwiga Postrożna) tarnt sich erst als sternenbekränzte Mutter Gottes in ihrer Mariengrotte, und zieht dann blank zur bar- und mehrbusigen Puffmutter. Und auf der Wartburg treffen Hofdamen auf Edelleute, platzieren sich Ordensritter neben Muselmännern auf ihren Schalensitzen im Stadion-Halbrund. Pink gewandete Pagen tragen Laubsägearbeiten der Original-Wartburg herbei. Diverser könnte eine Gesellschaft kaum sein. Der szenische Spaß funktioniert deswegen so gut, weil er dem fabelhaften Ensemble seine Freiräume lässt in der Entfaltung ihrer Charaktere. 

James J. Kee füllt sie aus mit einem berserkenden, schnaubenden, schluchzenden Tannhäuser. Kondition besitzt der junge Amerikaner im Übermaß, bis hin zur Selbstentäußerung in der Rom-Erzählung. Findet er für seinen üppigen, farbsatten, mühelos artikulierenden Tenor noch zur Balance zwischen Kraftstrotzen und Kraftmeierei, wird man von ihm noch auf größeren Bühnen hören. 

Kondition bis hin zur Selbstentäußerung: James J. Kee als Tannhäuser © Andreas Lander

Die hat die junge Finnin Aurora Marthens mit Berufserfahrung an der Wiener Staatsoper längst erklommen. Eine ideal besetzte, auch schauspielerisch glaubhafte Elisabeth, mit ihrem geraden, jugendlichen, reinen wie hellen Sopran, der durchlässig bleibt für sämtliche Schattierungen zwischen Mitleid und Verzweiflung. Aus dem Haus-Ensemble überzeugt Johannes Stermann als Landgraf Hermann mit sonorer Nachtschwärze mehr als der engagierte, aber etwas matte Wolfram von Marko Pantelić. Aleksandr Nesterenko ist ein wunderbar lyrischer Walther von der Vogelweide, Giorgi Mtchedlishvili hält als Biterolf das Niveau, Elvire Beekhuizen hat ihre starken Momente als junger Hirt. 

Sie alle werden vorbildlich sängerfreundlich getragen von Erik Nielsen am Pult der Magdeburgischen Philharmonie. Der Amerikaner, vielgefragter Gast an großen Häusern wie der Bayerischen Staatsoper und der Semperoper Dresden, mischt schon in der Ouvertüre die erlesensten Bläserfarben, hat einen so unaufdringlichen wie wirkungsvollen Plan für die großen Tableaus und bringt auch das etwas wacklige Kombinat aus Opernchor und Singakademie noch bestens unter. Was einmal mehr beweist: Erstklassigen Wagner bieten längst auch kleinere Stadttheater. 

Für die Regie setzt es erwartungsgemäß vereinzelte Buhs. Ansonsten – und völlig zurecht – ernten Orchester und Ensemble stehend dargebrachte Ovationen: Ein Sängerkrieg als Fest verheißungsvoller Wagner-Stimmen.


«Tannhäuser» – Richard Wagner
Theater Magedburg · Opernhaus

Kritik der Premiere vom 14. September
Termine: 27. September; 5./19. Oktober; 16. November; 13. Dezember 2025; 4. Januar