Nationaltheater Mannheim
Alle Farben Musik
Mitreißend dirigiert und packend gesungen wie gespielt: Händels «Giulio Cesare in Egitto» wird unter Paul Agnew zum musikalischen Erlebnis. Nur szenisch wäre noch ein wenig Luft nach oben
Daniela Klotz • 04. Juli 2025

Händels Musik berühre uns heute noch so radikal, weil der Barockkomponist ein mit „einer unglaublichen Menschenkenntnis“ ausgestatteter „fantastischer Melodiker“ gewesen sei, sagt Dirigent Paul Agnew im Interview fürs Programmheft. Für die Mannheimer Produktion des «Giulio Cesare in Egitto» im Schwetzinger Schlosstheater hat Agnew sich gemeinsam mit dem Nationaltheater-Orchester und den Sängerinnen und Sängern auf die Suche nach den unterschiedlichen Farben und Charakteristika begeben, die Händel seiner Musik eingeschrieben hat.
Es sind vor allem die Entwicklungen, die die Figuren des Giulio Cesare und der Cleopatra durchleben, die für die intensivsten und interessantesten Momente sorgen. Was von Kleopatra VII und ihrem Bruder Ptolemaios XIII zunächst zu halten ist, verdeutlicht die kurzfristig eingesprungene Regisseurin Lucía Astigarraga gleich während der Ouvertüre: Wie zwei verwöhnte Plagen streiten sich die königlichen Geschwister um ihre Papierkronen. Cleopatra wird danach durch die Liebe zu Giulio Cesare und die Demütigungen, die sie durch ihren Bruder zu erdulden hat, zur Herrscherin reifen, der solche Geplänkel nichts mehr bedeuten. Um den Feinsinn zu verdeutlichen, mit dem dieser Prozess in der Oper nachgezeichnet wird, muss man vorwegnehmen, dass Händel überall, wo er war, Textbücher mitnahm. Das half ihm, den Zeitgeschmack zu verstehen und bot ihm Grundlagen für eigene Werke. Den «Cesare» hat er in Venedig „mitgehen lassen“. Sein Librettist Francesco Haym hat die Schritte von der „jugendlichen“ Cleopatra, die durch Schönheit bestechen will und noch bereit ist, Trost in derselben zu finden bis zu jener, die am Schicksal verzweifeln muss, aus der Vorlage herauspräpariert. Händel hat diesen Werdegang minutiös nachgezeichnet. Von der leichten Tändelei bis zur tragischen Tiefe.
Olga Jelínková ist für diese Rolle nachgerade ein Glücksfall. Von Frau zu Frau sollte erlaubt sein zu sagen, dass sie optisch das Zeug hat, einen Mann zu verführen. Schauspielerisch alle Facetten der Rolle ausleuchtend, überzeugt sie aber vor allem stimmlich. Technisch souverän meistert sie Koloraturen und „Herzschmerz“ gleichermaßen. Auf der Szene hilft Nireno Matthias Lucht als komisch-tragisches „Mädchen für alles“ sogar beim Wechsel der Perücke.

Tolemeo hat es da nicht ganz so leicht. Gerben van der Werf ist sich dankenswerterweise für nichts zu schade. Er hat die Rolle des dekadenten Bösewichts („gut“, um mit Helmut Qualtinger zu sprechen). Er darf richtig derbe dekadent sein (ganz gut) und sich beispielsweise der, mit Verlaub, spießig erscheinenden Cornelia einen Schal in den Hosenschlitz stecken oder statt ihrer mal kurz die Spaliere lecken (Entschuldigung!, So war es halt, und es war gut so). Wie er diese Zungenspiele beim Singen hinbekommt, ist schon bemerkenswert (ergo sehr gut). Ganz besonders beachtenswert ist, dass er sich nicht scheut, seiner Stimme auch „hässliche“ Töne, sprichwörtlich die der Tiefe zu entlocken. Dieser Popanz entwickelt sich natürlich nicht, er wird ja am Ende auch erfolgreich erlegt, sehens- und hörenswert und auf seine (also Werfs) Weise spielwitzig-sympathisch ist er unbedingt.
Stichwort „erlegt“: Achilla hatte die schöne Idee, Pompeius als Geschenk für Cäsar enthaupten zu lassen. Der Knalleffekt, mit dem die Oper eigentlich beginnt. Vordergründig, um Tolemeos Ruhm zu mehren, in Wahrheit, um des Römers Gattin, die schöne Cornelia, dann selbst zu besitzen (das Ehelichen ist wirklich zweitrangig in dieser barocken Sex-Story). Nikola Diskić schenkt dem Verräter aus Liebe stimmlich das Herz des Liebenden. Ansonsten muss man seinen Stoizismus bewundern, mit dem er den James-Bond-Aquaman gibt oder à la Peter Sellers im „Partyschreck“ gefühlt ewig verscheidet während Giulio Cesare die Einsamkeit auf dem Gipfel des Ruhms beklagt.
Cornelia nun macht eigentlich auch keine weitere Entwicklung durch. Gut (also in dem Sinn „ungut“), kaum in Ägypten eingetroffen, findet sie sich dem rumpflosen Kopf ihres Gatten (sie ist seine 5. Gattin, aber trotzdem) gegenüber, und das mit einem Sohn, der altershalber noch weit von Satisfaktionsfähigkeit entfernt ist. Bis zum Ende wird man auch nicht erfahren, welcher ihrer „Verehrer“ (der Lüstlinge, die scharf auf die schöne Römerin sind) nun hat oder nicht … Mit wunderschön tief fundiertem Alt besingt Cláudia Ribas das Leid dieser unschuldigen Verführerin. Mit Bedacht hat Barbara Drosihn sie in ein biederes Altfrauenkleid gesteckt. Geholfen im Sinne der Geschichte hat das nichts, wie wir schon wissen.
Ruth Häde muss als Sesto eingreifen. Auch der arme Junge macht eine Wandlung durch. Während die oftmals ein bisschen blässlich bleibt, versteht man hier, was es für diesen Pubertierenden bedeutet haben mag, auf den Schlag zum Mann reifen zu müssen. Häde singt und spielt das rückhaltlos.

Glücklich mit einer Pause inmitten des zweiten Akts auf heutige Rezeptionsfähigkeit gekürzt, beginnt die Handlung mit dem Aufritt Cäsars – als Gegengewicht zu den Countern besetzt mit einer Frauenstimme. „Nun soll Ägyptenland | dem Sieger die Palme reichen!“ schmettert Sophie Rennert, vom Parkett her eintretend und die Zuschauer per Handschlag begrüßend. Ihre Art, die Koloraturen der Rolle mühelos „abzuspulen“, wird dieses Publikum alsbald in Bann schlagen. Sie wird die ungekrönte Königin des Abends (und gibt dabei ein „gestandenes Mannsbild“ ab, wie die Bayern sagen würden). Man liebt und leidet mit ihr und ist irritiert, aber zufrieden, dass dieser Cäsar und diese Kleopatra in einer die Anfangsszene wiederholenden, nur weit versöhnlicheren Szene, an deren Ende Cleopatra die Papierkronen zerreißt, Cäsar (warum?) einen Lachkrampf bekommt und Achilla (weshalb?) wiederaufersteht, zueinander gefunden haben und sich nicht darum scheren, dass sprichwörtlich unter ihnen die Welt untergeht.
Klaus Grünberg hat nämlich mit Bühne und Licht eine sehr reduzierte Welt für das hochemotionale Geschehen geschaffen, eine Art Bungalow im oder am Swimmingpool. Wo genau oben oder unten ist, Luft zum Atmen oder Wasser zum Verderben, verwischt im Lauf des Abends. Weshalb die Akteure mühsam die Poolleiter erklimmen müssen und was die Ebenen bedeuten, erschließt sich nicht vollumfänglich. Aber wenn das der einzige Kritikpunkt ist, dann soll es als Anreiz zum Nachdenken und Hingehen gelten.
«Giulio Cesare in Egitto» – Georg F. Händel
Nationaltheater Mannheim · Schwetzinger Schlosstheater
Kritik der Premiere am 1. Juli
Termine: 3./9./11./13./16./18./20. Juli