Linda van Coppenhagen
Von der Lehrerin zur gefeierten Sopranistin
Zum Thema „Heimweh“ brachte die Südafrikanerin kürzlich ihr erstes Album heraus. Die Musik wurde ihr nicht in die Wiege gelegt, trotzdem steht sie seit mehr als zehn Jahren auf deutschen Bühnen
Birgit Koß • 16. Mai 2025

Linda, blicken wir auf Ihren ungewöhnlichen Lebensweg zurück. Sie sind ja eine absolute Quereinsteigerin.
Mir gefällt das Wort „Quereinsteigerin“ gut, weil es für mich besser klingt als der englische Begriff „late bloomer“, denn das klingt so, als wäre ich zu spät dran. Quereinsteigerin, das klingt wie: „Ich habe überholt und komme von der Seite.“ – Das ist ein schönes Wort, und in meinem Fall ist es wirklich so.
Wie sind sie zur Musik gekommen?
Ich habe in Johannesburg im Schulchor gesungen und Klavier gespielt. Die Idee, mit Musik etwas Professionelles zu machen, kam weder mir in den Sinn noch meinen Mitschülerinnen, denn das ist ja kein „richtiger Job“. Man sollte etwas „Ordentliches“ studieren. Ich habe ich mich am Ende für Psychologie entschieden, weil es eine breite Basis bietet. An der University of Johannesburg habe ich für ein Studentenmusical vorgesungen, und der musikalische Leiter sagte: „Warum studierst du Psychologie? Du solltest Sängerin werden und wenigstens eine Gesangsstunde nehmen und herausfinden, was deine Stimme kann, denn du hast Material.“ – Diese überzeugende Einschätzung meiner stimmlichen Fähigkeiten beeindruckte mich sehr. Da war ich schon im zweiten oder dritten Studienjahr.
Das heißt, Sie haben erst als Erwachsene Ihre erste Gesangsstunde genommen?
Ja, ich hatte mein Psychologie-Diplom fast abgeschlossen als ich meine allererste Gesangsstunde nahm. Mein damaliger Gesangslehrer sagte gleich zu mir: „Linda, wenn Du vorhast, Popmusik zu singen, wie die meisten, dann komm bitte nicht wieder, denn Du hast eine hohe Sopranstimme. Aber wenn Du Dich mit klassischem Gesang anfreunden kannst, also Oper, Lied, Oratorium, dann können wir etwas machen.“ – Er gab mir damals eine alte VHS-Aufnahme von «Le nozze di Figaro» und sagte: „Geh nach Hause und schau dir das an, hör dir die Stimmen an. Eines Tages kannst du auch so singen.“ – Bis dahin hatte ich dieses Repertoire noch nie gesungen. Ich hatte sogar zu dem Zeitpunkt noch nie zuvor in meinem Leben Opernmusik live gehört.
Inzwischen haben Sie die Susanna in der «Hochzeit des Figaros» mehrfach selber gesungen und sich ein großes Repertoire erarbeitet. Es gibt nun auch eine CD von Ihnen mit dem Titel „Heimwee Lieder aus zwei Heimaten“, die wiederum ihre Vielseitigkeit beweist. Lassen sie uns mit dem Titel beginnen. Was bedeuten „Heimwee“ und „Heimat“ für Sie?
Vielleicht muss man erst seine Heimat für unbestimmte Zeit verlassen haben, um wirklich zu begreifen, was „Heimat“ bedeutet. Mir wurde schmerzlich bewusst, was mein Heimatland für mich bedeutet, als ich ein Kind in einem fremden Land großziehen musste, ohne Unterstützung durch meine eigene Familie, mehr oder weniger allein und in meiner dritten Sprache. Noch nie hatte ich eine so tiefe Sehnsucht danach verspürt, wieder in dem Land zu sein, in dem ich selbst aufgewachsen bin.
Seit ich ein neues Leben auf die Welt gebracht habe, sehnen sich mein Geist, mein Körper und meine Seele danach, in meinem Heimatland mit goldenem Licht, Wärme und der Umarmung meiner Familie zu sein.

Nach welchen Kriterien oder Überlegungen haben Sie das Programm für das Album ausgesucht?
Die Lieder drehen sich um Themen, die mit Heimweh und Liebe zu tun haben. Da ich zum Zeitpunkt der Aufnahme dieses Albums eine junge Mutter war, schien der Liederzyklus von Louis Spohr so viele Emotionen einzufangen, die ich zu dieser Zeit empfand. Die Lieder „Sei still mein Herz“, „Sehnsucht“ und „Das heimliche Lied“ drücken alle die Gefühle der Sehnsucht nach einem Leben aus, in dem die Schönheit der Natur und die liebevolle, akzeptierende Umarmung durch geliebte Menschen präsent sind. Die Tatsache, dass ein Schlaflied seinen Weg in Louis Spohrs Liederzyklus gefunden hat, erschien mir sehr passend.
Die drei südafrikanischen Lieder auf meinem Album drücken den Wunsch aus, nach Hause zu gehen. In diesen Liedern geht es um die Verbundenheit der Südafrikaner mit der Natur. Das Titellied „Heimwee“ stellt das Grau und die Härte des europäischen Lebensstils der Freiheit und dem Gefühl der Zugehörigkeit gegenüber, dass Südafrikaner in unserem Heimatland empfinden – einem Land, in dem Wärme, Sonnenschein und spektakulären Landschaften unsere Identität prägen.
Richard Strauss und seine romantischen Lieder über die Liebe und die Nacht – die Dunkelheit der Nacht – drücken einige der düsteren Gefühle aus, die ich hatte. Ein Kind Tausende von Kilometern von meinem Heimatland entfernt aufzuziehen, hat etwas in mir verdunkelt. Ein Teil von mir musste sterben, damit ich meinem Kind das Leben schenken konnte.
Das Album endet mit einem Lied, das für mich eine Art Wiederauferstehung darstellt. „Der Hirt auf dem Felsen“ ist ein ausdrucksstarkes, dreiteiliges Lied, das Franz Schubert kurz vor seinem Tod komponierte. Der erste Teil ist ein freudiges Naturerlebnis. Der zweite Teil ist ein Ausdruck von Depression und sogar Todesgedanken. Der dritte Teil ist eine Feier des neuen Lebens, wenn der Frühling erwacht. Ich liebe dieses Lied so sehr, weil ich hoffe, dass ich mit meinem Album eine Art Wiederauferstehung als Sängerin, als Mutter und als in Deutschland lebende Südafrikanerin erleben werde.
Youtube-Link zum „Heimwee“-Trailer
Sie haben in Südafrika zunächst als Lehrerin gearbeitet und später als Kundenberaterin bei einer Bank, um das Geld und die Zeit für regelmäßige Gesangsstunden zu haben. Wie kamen Sie dann nach Deutschland?
Nachdem ich drei Jahre lang bei jeder sich bietenden Gelegenheit geübt hatte, ermutigte mich meine damalige Gesangslehrerin, Emma Renzi, an dem einzigen Wettbewerb für klassische Musik in Südafrika teilzunehmen. Das vorgeschriebene Repertoire und die Anforderungen für den ATKV Muziqanto sind mit denen der Wettbewerbe in Europa vergleichbar. Der anschließende Gewinn des ersten Preises in diesem Wettbewerb hat mich dazu bewogen, eine Gesangskarriere zu starten und den unwahrscheinlichen Weg nach Deutschland zu wagen.
Den letzten Anstoß dafür hat mir der südafrikanisch Tenor Kobie van Rensburg gegeben, bei dem ich an einem Meisterkurs für barockes Opernrepertoire teilgenommen habe. Kobie hat mich ermutigt, ins kalte Wasser zu springen und sofort in Deutschland für Opernrollen vorzusingen. Mit dem Geld, das ich bei dem Gesangswettbewerb gewonnen hatte, bezahlte ich mein Visum und mein Flugticket nach Deutschland. Kobie organisierte ein Vorsingen für mich. Ich wusste, das wird meine einzige Chance sein. Eine Einladung zu einem Vorsingen in Deutschland war für mich ein Wunder. Dieses Vorsingen konnte mir einen Fuß in die Tür ermöglichen.
Mein erstes, und damals einziges Vorsingen in Deutschland war ein Erfolg. Ich hatte das Privileg, mein Debüt als Solistin in Deutschland als Dalinda in einer freien Produktion von Händels Oper «Ariodante» zu geben. Dennoch stand ich vor der Herausforderung, Deutsch sprechen zu müssen. Ich hatte kurz vor meiner Ankunft in Deutschland einen Sprachkurs besucht, aber ich konnte noch lange nicht fließend sprechen.
Wann war das und wie ging es weiter?
Das war im Jahr 2011. Ich hatte ein Visum für nur drei Monate in Deutschland. Ich musste also schnell vorsingen und schnell gut Deutschsprechen lernen, um weitere Arbeit zu bekommen! Ich habe meinen Lebenslauf an fast 100 Agenturen, Veranstalter, was auch immer ich finden konnte, geschickt. Nur zehn haben geantwortet, wovon acht „nein, danke“ gesagt haben. Und zwei haben gesagt, kommen Sie zum Vorsingen. Aber die zwei Vorsingen habe ich gewonnen. Und dann habe ich eine Agentur bekommen, die mich vermittelt hat. Mein erstes Engagement habe ich ab 2012 gehabt, am Theater Vorpommern in Stralsund. Ich habe schöne Partien gesungen, gleich zum Beispiel die Susanna, die ich auf der alten VHS-Aufnahme ein paar Jahre zuvor in Südafrika gesehen hatte. Es war für mich wie ein Kreis, der sich schließt. Und von Stralsund kam ich nach Halle.
Meinen Mann hatte ich inzwischen auch kennengelernt, den Tenor Robert Sellier. Er war zu dem Zeitpunkt in Halle engagiert und wir hatten eine Fernbeziehung. Das war nicht so optimal. Es kam die Gelegenheit, in Halle vorzusingen und ich habe die Stelle bekommen. Es war allerdings nur für ein Jahr. Vielleicht auch gut so, denn ich war kurz danach schwanger.

Das war sicherlich ein weiterer und intensiver Einschnitt in ihrem Leben?
Ja, ich hatte das Gefühl, in einer unglaublich kurzen Zeit so viele unterschiedliche Leben zu leben. Wenn ich darüber nachdenke, was in einem Zeitraum von zehn Jahren in meinem Leben geschehen ist: zwei Diplome absolvieren, Lehrerin werden, Berufswechsel in eine Bank, dann nochmal Berufswechsel zur Opernsängerin, Landwechsel von Südafrika nach Deutschland, Arbeit suchen in Deutschland, Deutsch lernen, heiraten und Mutter werden – das war wild und intensiv. Und in meiner Schwangerschaft hat sich alles für mich geändert. Ich hatte bis dahin noch nie ein so großes Verantwortungsgefühl für ein anderes Wesen erlebt. Da hat sich mein Leben um 180 Grad gedreht. Ich habe festgestellt, ich kann nicht mehr einfach alles machen, was ich will. Ich habe fast zweimal mein Kind während der Schwangerschaft verloren. Also so, dass ich ins Krankenhaus musste und danach nur noch liegen durfte. Und wir haben die Entscheidung getroffen, ich muss freiberuflich werden, damit ich eine gewisse Flexibilität habe, was meine Zeit angeht, nach der Geburt.
Aber entspricht das nicht genau dem Klischee: Der Mann macht Karriere und die Frau bleibt mit den Kindern zu Hause?
Wir Frauen denken oft: „Oh, die verpassten Gelegenheiten, die Jahre, die ich verloren habe wegen Baby und Kind“, aber es ist alles eine Reise. Dieses Kapitel mit Baby und Kleinkind, genauso wie es war, war genau richtig für mich. Ich musste lernen, ein bisschen langsamer an das Leben heranzugehen. Ich musste auch lernen, was es bedeutet, mich zu entschleunigen. Ich hatte oft das Gefühl, die ersten zwei Jahre, bis mein Kind in einer Kita aufgenommen wurde, ich bin so unproduktiv, ich erreiche nichts Spektakuläres mehr. Ich kann auf einmal nicht mehr sagen, welche großartigen Rollen ich gerade gesungen habe. Aber eigentlich wissen wir Mütter tief im Herzen: Wir leisten wichtige Arbeit in dieser Zeit!
Zwischendurch habe ich immer noch gesungen, ein paar große Produktionen und Konzerte. Das habe ich alles wieder angefangen, aber das war längst nicht so wie vor dem Kind – die Prioritäten haben sich verändert. Als Mutter und Sängerin wurde ich gezwungen, mein Leben zu untersuchen: Wie stelle ich mir mein Leben jetzt weiter vor? Was passt zu meiner Familie? Was passt zu mir, wo ich trotzdem weiter an meiner Karriere dranbleiben kann? – Bevor ich diese Fragen beantworten konnte, kam Corona, und wir hatten Lockdown. Am Anfang fand ich Corona das Schlimmste, was uns passiert ist, aber jetzt, im Nachhinein, sage ich, es war auch eine von den besten Sachen, die uns passiert ist!
Was hat Ihre Sicht auf diese Zeit verändert?
Genau aus diesem Corona „Struggle“ wurde das Album geboren. Der Lockdown war für mich etwas Unerträgliches. In Südafrika verbringt man viel Zeit draußen. Meine Kindheitserinnerungen sind davon geprägt, barfuß draußen auf der Wiese zu spielen. Und plötzlich mit einem sehr aktiven Kleinkind in einer Wohnung – gefühlt – eingesperrt zu sein, war für mich unnatürlich und furchtbar. Ich hatte so Heimweh nach meinem Land mit Lebensraum und Licht und Weite. Leider war gerade Südafrika in der Coronazeit nicht besonders beliebt, denn es hieß, jede neue Variante des Virus kommt aus Südafrika. Wir wurden gewarnt zu versuchen, nach Südafrika zu reisen, und deswegen habe ich mein Land und meine Familie fast drei Jahre lang nicht gesehen.
Aber etwas Großartiges ist aus dieser Situation entstanden. David Grant, Pianist auf meinem Album und auch gebürtige Südafrikaner, fragte mich damals: „Linda, hast du auch Heimweh? Willst du auch gerade in Südafrika sein, vielleicht auf einer Lodge mit frischer Luft, wo die wilden Tiere das ‚Gefährlichste‘ sind, was es gibt und keine Rede von Viren und Lockdowns?“ Aber gleichzeitig sagte er: „Linda, sehnst du dich aber auch so wahnsinnig danach, wieder auf der Bühne zu stehen? Lass uns etwas planen.“
So ist das Album „Heimwee – Lieder aus zwei Heimaten“ entstanden?
Die Deutsche Musikrat hatte ein Stipendium „Neustart Kultur“ ausgeschrieben für klassische, freiberufliche Musiker, die beweisen können, wie sie durch die Corona bzw. Lockdown-Regeln benachteiligt wurden, und wie sie sich, mit Hilfe eines Stipendiums, wieder auf dem Markt positionieren können. Ich habe vorgeschlagen, wir nehmen dieses Programm auf und machen ein Album daraus – Heimweh, Südafrika, Deutschland, Corona. Wir haben dieses Stipendium bekommen und so durften wir dieses Projekt verewigen. Wir haben etwas in die Erde gepflanzt, das bleibt für immer da. Alle Tränen, alles Blut, aller Schweiß, alles, was dazugehört, habe ich gebraucht, um überhaupt so etwas schaffen zu können.
Das Gespräch wurde im März 2025 in Berlin geführt.
Linda van Coppenhagen wuchs in Johannesburg auf und arbeitete nach ihrem Psychologie-Studium zunächst als Lehrerin. Im Jahr 2010 gewann sie den beim südafrikanischen Klassik-Gesangswettbewerb ATKV Muziqanto den ersten Preis und wagte anschließend den Sprung nach Deutschland. Das einstige Ensemblemitglied vom Theater Vorpommern und der Oper Halle arbeitet seit 2019 freischaffend.
Am Samstag, den 31. Mai um 16.00 Uhr wird sie „Bach Pasticcio, vergnüglich“, Kantaten von J.S: Bach im Goethe Theater Bad Lauchstädt singen, Im Juli präsentiert sie Ihr Album „Heimwee“ in Südafrika und ab 20. September steht sie als Frasquita in «Carmen» in Halle auf der Bühne.