Reclam

Die geballte Faust gegen Nazi-Musik

In dem Buch „Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil“ schildert Michael Haas die Geschichten von Komponisten, die vor den Nazis geflüchtet sind

Ute Grundmann • 12. Mai 2025

Walter Bricht, aufgenommen Mitte der 1920er Jahre in Wien, flüchtete vor den Nazis in die USA. Foto mit Genehmigung von Dana Bricht-Higbee

Desillusioniert schrieb der österreichische Komponist Walter Bricht an Wassily Kandinsky: „Es war ein Traum. Wir sind zweierlei Menschen. Definitiv!“ – Den Traum, Gleiche unter Gleichen zu sein, zerschlugen die Nationalsozialisten mörderisch. Schon der von Nazis ermordete deutsche Außenminister Walter Rathenau musste einsehen, dass er „als Bürger zweiter Klasse auf die Welt gekommen“ sei. Wie sich Komponisten durch Flucht, innere Emigration oder Hybris zu retten versuchten, schildert Michael Haas in seinem sehr durchdachten, immer wieder bedrückenden Buch „Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil“. Auch wenn nicht alle fliehen wollten, sondern im NS-Staat blieben, ist der englische Originalitel des von Susanne Held übersetzten Buches viel treffender: „The untold Story of the Composers Who fled Hitler“.

Doch das war alles andere als einfach. Sehnsuchtsland für alle waren die USA, sodass sogar amerikanische Telefonbücher durchwühlt wurden, um einen Anhaltspunkt für die rettende Hilfe zu bekommen. Aber: „Für viele war die Flucht in die Niederlande eine tödliche Illusion“, schreibt Haas, in Kanada wollte man „auf keinen Fall Juden“. So präzise wie schmerzlich beschreibt Haas die Situation derer, die flüchten wollen oder müssen, aber auch deren unterschiedliche Gründe: „Der politische Exilant geht aus Gewissensgründen, der verfolgte Jude flieht vor dem Völkermord.“ Doch dazwischen gibt es viele Lebenssituationen, zu denen Haas, 40 Jahre lang Aufnahmeproduzent, seine eigenen Schlussfolgerungen und Erfahrungen mitteilt.

Er differenziert sehr stark, nennt den „inneren Widerstand“ durch selbstgewählte Isolation, Widerstand und Wunsch nach Rückkehr, was Schreiben für die Schublade erforderte. Er fragt aber auch: „Warum verließ Korngold, der so erfolgreiche Komponist von Filmmusik, Hollywood unmittelbar nach Ende des Krieges?“ – Nicht auf alles findet der Autor Antworten, aber ein spannendes Bild: „Die Musik des Exils war eine einmalige Synthese, verfasst an einem Ort, an den der Komponist nicht gehörte, dem Publikum vor Ort zu fremd, auch dem Publikum in ehemaligen Heimatländern verschlossen. Aber Haas skizziert dennoch einige Beispiele.

Berthold Goldschmidt, von NS-Beamten gewarnt, versuchte durch seine Musik eine Rückkehr in Land, Heimat, Sprache, auch Lebensstil. Der tschechische Komponist Erwin Schulhoff, sowjetischer Staatsbürger, als „feindlicher Ausländer“ interniert. Auch in der inneren Emigration sieht er die Rollen unterschiedlich verteilt – jene, die fassungslos zusehen, wie Kollegen und Freunde verfolgt werden; jene, die schreiben konnten, was sie wollten – ohne Zensur, aber auch ohne Resonanz; Komponisten, die ihre Stimmen im Schweigen einer Schublade versteckten. Als bekannten Fall nennt der Autor Wolfgang Fortner, von der NSDAP Kulturbolschewist geheißen und der glaubte, dass progressive musikalische Ideen auch im NS-Deutschland Platz hätten, der aber auch zu Nazi-Anlässen komponierte, ein HJ-Orchester leitete, 1940 der Partei beitrat.

Das Titelblatt des Buchs zeigt die Ankunft von Francesco von Mendelssohn und seiner Schwester Eleanor, Kurt Weill, Lotte Lenya und Meyer Weisgal in Amerika im Oktober 1935

Im passiven Widerstand sieht der Autor Walter Braunfels, der nicht wegen seiner jüdischen Familie widerstand, sondern weil er jeden unerträglich fand, der auch nur entfernt mit der Partei zu tun hatte. Da scheint Wohlwollen mitzuschwingen; dass Karl Amadeus Hartmann sich dem „Aktiven Widerstand“ zurechnete, nennt Haas dagegen Täuschung und Vorsicht: „In Wahrheit tarnte er sich als junger Komponist, der in seinem Geburtsland noch von sich reden machen wollte.“ Später wird der Autor resümieren, Musik als aktiver Widerstand sei ein Widerspruch in sich. Dagegen stand Paul Hindemiths «Mathis der Maler» als Fehdehandschuh gegen die Barbarei; gab es Musik in Lagern wie die Moorsoldaten, Kampflider als Erinnerung an ein besseres Deutschland.

Lange dauert es, bis Kurt Weill „und die Musik der Integration“ zu Wort kommt. Europäisches musikalisches Selbstbewusstsein und Melodienseligkeit, Weill als Gegenspieler Korngolds in Hollywood; aber er tauft die Musik von Weill zu Brecht „Bierzeltcharakter“, nennt sie „deutsche Musik mit aufgesetztem amerikanischem Akzent“. Das ist ziemlich böse, aber doch sehr viel mehr als es Stephen Hinton in „Kurt Weills Musiktheater“ auf 830 Seiten bietet. Es ist ein vielfältiges, reiches, vielerlei Themen behandelndes Buch, das auch „Die Zweite Wiener Schule in China“ nicht außer Acht lässt.

Eine Schlussfolgerung mag Michael Haas nicht ziehen: „Mir ging es darum, die Auffassung zu hinterfragen, dass es zwei klare kulturelle Pole gegeben habe: Nur die ‚Guten‘ flohen, die ‚Bösen‘ spielten für die Nazis auf“. So laufe man Gefahr, viel wertvolle Musik zu verlieren, die Zeit und Umstände reflektieren, schreibt er, Musik des Exils sei eine besondere Gattung, in der eine Vielzahl von „Rückkehren“ anklingt. Sicher lässt sich aus all dem nicht die eine Schlussfolgerung ziehen, aber viele, verschiedene, spannende. Und das ist doch auch etwas.


Michael Haas: Die Musik der Fremde. Komponisten im Exil. Philipp Reclam jun. Verlag 2025, 448 Seiten