Oper Frankfurt

Traumhafte Klangwelt

Regisseur Tilman Köhler und Dirigent Markus Poschner konzentrieren sich bei Alexander von Zemlinskys «Der Traumgörge» – 120 Jahre nach Vollendung der Oper – auf die Musik

Joachim Lange • 01. März 2024

Görge (AJ Glueckert, Mitte) lässt seine Verlobte Grete (Magdalena Hinterdobler), um seine Traumprinzessin zu suchen © Barbara Aumüller

Die musikalische Suggestivkraft, die diese Frankfurter Neuinszenierung von Alexander von Zemlinskys Oper «Der Traumgörge» entfaltet, ist unwiderstehlich – auch wenn, oder vielleicht auch weil sich die musikalische Sprache Zemlinskys nicht mit allzu ambitioniertem Übereifer aus dem Schatten von Richard Wagner zu lösen trachtet, aber ebenso wie Richard Strauss einem eigenen Stern folgt (und sich in Strauss‘ Nachbarschaft zu profilieren trachtet). 

Die Uraufführung der zwischen 1904 und 1906 fertiggestellten vierten Oper Zemlinskys (1871-1942)  in Wien war 1907 nach der vorzeitigen Demission Gustav Mahlers als Direktor der Hofoper geplatzt. Sie gelang erst 1980 in Nürnberg. Nur wenige weitere, wie die von Joachim Schlömer an der Deutschen Oper Berlin, folgten bislang. Jetzt also Frankfurt und damit sozusagen per se mit musikalischem Referenzniveau. Die Mikroports der Protagonisten in der besuchten zweiten Aufführung waren denn auch dem Mitschnitt einer Naxos-CD-Produktion geschuldet und keine korrigierende akustische Mogelei. Die wäre bei dem handverlesenen Ensemble auch in keinem Fall nötig gewesen. 

Imponierend wie der amerikanische Tenor AJ Glueckert die monströse Titelpartie, die sich mitunter ins Tristanformat erhebt, mit all ihrer inneren Zerrissenheit ohne Ermüdungserscheinungen differenziert gestaltet. Und wie Zuzana Marková mit ihrer samtig timbrierten Eloquenz zwischen der Eleganz der Traumprinzessin und der von der Gemeinschaft attackierten Gertraud changiert. Wenn sie im eleganten schwarzen Kleid mit einer roten Rose in der Hand dem traumverlorenen Görge entgegen schreitet, muss man unwillkürlich an einen sozusagen umgekehrten Rosenkavalier denken. Mitreißend ist die deftige Vitalität, mit der Liviu Holender den großmäuligen Kriegsheimkehrer Hans gibt, um Görge seine bei Magdalena Hinterdobler vokal und darstellerisch handfeste Beinahebraut Grete auszuspannen. Ein Fest der Stimmen zur Orchesteropulenz ist dieser Abend durchweg. Markus Poschner gelingt es überzeugend, das Frankfurter Oper- und Museumsorchester zu einem Klangrausch zu (ver-)führen und gleichwohl die Balance zu den Stimmen zu wahren. 

Görge (am Boden liegend: AJ Gloeckert) findet Gertraud (Zuzana Marková) und nimmt sie mit sich zurück in die Heimat © Barbara Aumüller

Was auch dadurch besonders zur Geltung kommt, weil sich Regisseur Tilmann Köhler und sein Bühnenbildner Karoly Risz mit ihrer Deutungsambition zurückhalten. Wenn sich der mit Holzdielen beplankte Vorhang hebt, bleibt es bei der Dominanz von Holz. Ein mit Dielenbrettern ausgeschlagener Innenraum mit sieben ausgeschnittenen windschiefen Hausprofilen. Das ist die Welt, in der wir einem von Susanne Uhl historisch ländlich kostümierten Personal und einer Liebesgeschichte zwischen Sollen und Nicht-so-recht-wollen begegnen. Im ersten Teil wirkt das noch harmlos spielerisch mit oft putzig wirkenden Reimen. 

Nach der Pause wechselt die Gangart der Geschichte. Görge ist in den drei Jahren, die nach seiner Flucht von daheim in die Welt vergangen sind, ziemlich heruntergekommen. Offensichtlich will die Obrigkeit gegen den Eroberer Napoleon mobilisieren, aber die so Gerufenen wollen lieber mit ihrem Herren abrechnen. Dazu erinnern sie sich an den redegewandten Görge und wollen ihn zum Anführer machen. Besonders Iain MacNeil als Kaspar macht hier gewaltigen Eindruck. Görge verweigert jedoch diese Anführerrolle als man von ihm verlangt, sich von der allgemein als Brandstifterin verteufelten, als Außenseiterin behandelten Gertraud (seiner Traumprinzessin mit der Rose) zu trennen. Anders als die Massen von ihm erwarten, nutzt er das Erwachen aus seiner Traumwelt und das Zu-sich-Kommen in der realen Welt aber dazu, sich schützend vor Gertraud zu stellen, als der zum Mord entschlossene Mob sie bedroht und umringt. Nicht nur hier stellt der von Tilman Michael einstudierte Opernchor seine vokale und darstellerische Klasse überzeugend unter Beweis. 

Hans (stehend mit Messer: Liviu Holender) bekommt am Ende Grete (links am Tischende: Magdalena Hinterdobler): Ende gut, alles gut © Barbara Aumüller

Die Frage für eine Inszenierung bleibt, ob und wenn ja wie man diese Oper gegen den kitschverdächtigen Epilog in Schutz nehmen sollte: Wieder ein Jahr später finden wir uns nämlich darin in einer versöhnten heilen Dorfwelt wieder, in der Görge und Gertraud als großzügige Mühlenbesitzer und Schulstifter gefeiert werden. 

Die Regie unterschlägt oder konterkariert das nicht. Aber sie mag sich auch nicht so recht entscheiden, ob dieser spielerisch und selbstverloren märchenhafte Schluss Friedrich Schiller darin folgt, dass der Mensch nur da ganz Mensch ist, wo er spielt oder ob er die «Rosenkavalier»-Frage vorwegnimmt: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“. Ob also das Ganze nicht real ist, sondern nur ein quasi kontrafaktisches Post Skriptum als Alternative zu einem mörderischen Schluss?

Das hölzerne Ambiente dieser erstaunlich zurückhaltenden Inszenierung überlässt wohl bewusst der Musik das Feld. Und den Zuschauern, 120 Jahre nach der Vollendung der Oper, ihre ganz eigene Antwort.


«Der Traumgörge» – Alexander von Zemlinsky
Oper Frankfurt ∙ Opernhaus

Kritik der Vorstellung am 29. Februar
Termine: 3./9./13./16./23./31. März


Zum Thema

OPE[R]NTHEK / OPER FRANKFURT
Außenseiter? - von: Zsolt Horpácsy, in: Der Traumgörge. Alexander Zemlinsky 1871-1942, Magazin, Oper Frankfurt, Januar / Februar 2024