Theater Erfurt

Frustration und Schock

Erst wurde Guy Montavon entlassen, dann wiedereingesetzt, nun stoppte der Erfurter Stadtrat das ganze Verfahren. Das Verhältnis zu den Theater-Mitarbeitern ist zerrüttet

Ute Grundmann • 06. Februar 2024

Zahlreiche Mitarbeiter hoffen, dass Guy Montavon am Theater Erfurt Geschichte ist. Dessen Vertrag läuft indes noch bis 2027 (offizielles Pressefoto von Montavons Homepage, Fotograf unbekannt)

Guy Montavon ist nicht mehr 1. Werkleiter des Theaters Erfurt, aber immer noch Generalintendant. Allerdings ist er nach wie vor freigestellt, bei vollen Bezügen. Das ist das Ergebnis einer Sondersitzung des Erfurter Stadtrates, bei der ein vom Oberbürgermeister (OBM) mit Montavon ausgehandelter Aufhebungsvertrag mehrheitlich abgelehnt wurde. Malte Wasem, stellvertretender Generalintendant, leitet weiter kommissarisch das Theater, Christine Exel von den Stadtwerken Erfurt kommt als 2. Werkleiterin dazu.

Ein „geordneter Rückzug“ Montavons, auf den Kulturdezernent Tobias Knoblich (parteilos) gehofft hatte, ist damit gescheitert. Zu viele Fragen sind noch offen, nach den gravierenden Vorwürfen von Machtmissbrauch und sexueller Belästigung an der Bühne der Landeshauptstadt (siehe „Neustart nicht mehr möglich“). Zuletzt hatte sich der Orchestervorstand des Philharmonischen Orchesters Erfurt am 30. Januar in einem Schreiben an den OBM geäußert:

„Wir sind entsetzt, irritiert und frustriert. Unser Vertrauen in die Entscheidungsträger der Stadt Erfurt ist erschüttert.“ Die Wiedereinsetzung des Generalintendanten habe „eine katastrophale Außenwirkung und verunsichert die Belegschaft enorm“. Man vermisse die angekündigte Transformation des Theaters, „wir sehen eine weitere Zusammenarbeit mit Herrn Montavon als nicht gegeben an“. Der Untersuchungsbericht zu den Vorwürfen müsse öffentlich gemacht werden, „wir erwarten eine umfassende Aufklärung“.

Die Stimmung im Orchester sei von Aufatmen zum Schock umgeschlagen; „zahlreiche Momente des Schocks“ erlebte auch Tina Morgenroth (Mehrwertstadt) während der Ratssitzung, in der „mehr Dinge zu Tage getreten“ seien, als sie erwartet habe. Sie sprach von einem „Fass ohne Boden“. Die Wählerinitiative „Mehrwertstadt“ existiert seit 2018, seit 2019 hat sie Fraktionsstatus.

Auch 130 (von 330) Theatermitarbeitern lehnten in einem kritischen Brief einen „Neuanfang mit dem jetzigen Intendanten ab“. Ewandro Stenzowski, der in der Montavon-Inszenierung der «Rusalka» den Prinzen singt, erlebte vor der Premiere „mehrere schlaflose Nächte“, wie er dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) sagte. Der da noch abgesetzte Intendant zeigte sich nach der Premiere nicht.

Der Maskenbildner Johannes Friebel machte unter einem öffentlichen Facebook-Eintrag seines Arbeitgebers seinem Unmut Luft: „Habe ich mich geirrt oder ging es in dem Gutachten nicht um Aufarbeitung autokratischer Machtstrukturen und Schaffung von mehr Transparenz?“ Er kritisierte auch OBM Andreas Bausewein: „Hätte er Montavon fallengelassen, wäre das das Eingeständnis, dass es sehr wohl Gründe für die Entthronung gibt.“

Ein modernes Schmuckstück in pittoresker Umgebung: das Theater Erfurt © Theater Erfurt

Nachdem der von ihm mit Montavon ausgehandelte Aufhebungsvertrag mehrheitlich abgelehnt wurde, sagte Bausewein: „Das Theater braucht einen Neustart, weil dort offensichtlich eine sehr barocke Führungskultur herrschte. Wir brauchen neue Köpfe am Theater, haben aber juristisch und arbeitsrechtlich nichts in der Hand.“ Sein Verhältnis zu Montavon nannte er „rein professionell“. Allerdings sonnte auch er sich im Glanz des «Manon Lescaut»-Gastspiels des Erfurter Theaters im April 2022 mit der umstrittenen Anna Netrebko in Monaco. Der Stadt und dem Theater entstanden damals keine Kosten, aber anteilige Einnahmen.


Kölscher Klüngel

Im Aufhebungsvertrag, der in der Stadtratssitzung vorgelegt wurde, findet sich unter anderem die Klausel, dass „damit alle weiteren Ermittlungen eingestellt werden“ sollen. Diesem „Freibrief“ mochte die Mehrheit der Ratsmitglieder, wohl auch angesichts der Stimmung am Theater, nicht zustimmen. Immerhin hatten die Berliner Rechtsanwälte in ihrem Untersuchungsbericht 27 Fälle aufgelistet. Die wären dann nicht weiter verfolgt worden. „In Köln nennt man das doch Klüngel, oder?“ fragte ironisch ein Facebook-Nutzer.

Ein wichtiges, aber selten genanntes Argument: Das Leid der Betroffenen, vor allem Frauen, werde außer Acht gelassen. Auch deshalb gab es vor der Sitzung eine Solidaritäts-Demonstration vor dem Rathaus, organisiert vom Landesfrauenrat Thüringen. Dieses Zeichen sollte ausdrücklich auch der fristlos gekündigten Gleichstellungsbeauftragen, Mary-Ellen Witzmann, gelten.

Von Mitarbeitern des Theaters war nach der von Bausewein verfügten Wiedereinsetzung des Generalintendanten zu hören, dass man sehr traurig sei, „wir dachten, er wäre weg“. Und: Der Intendant sei selten da, bekomme aber sein Geld. Laut Deutschlandfunk ist Montavons Vertrag mit jährlich 180.000 Euro dotiert; dazu kämen Regiehonorare, wenn er an anderen Theatern inszeniere (was aber absolut üblich ist). Im Jahr 2018 musste Montavon nach Angaben des MDR 54.000 Euro Steuern für zusätzliche Einkünfte nachzahlen. Auf seiner persönlichen Homepage bietet Montavon u.a. „Trainings und Motivationshilfen im Bereich Leadership und Personalentwicklung“ an.

Was Andreas Bausewein nun „barocke Führungskultur“ nennt, war aber wohl schon länger kein Geheimnis. Bereits als die Debatte um Montavons Nachfolge (sein Vertrag läuft bis Ende Juli 2027) begann, hieß es auch von Seiten der Stadt, man wolle „keinen Alleinherrscher“ mehr, sondern stattdessen Spartenleiter. Bezeichnend für die derzeitige Situation ist auch, dass ein neuer Aufhebungsvertrag nicht von Erfurter Anwälten ausgehandelt werden soll. Auch diesem neuen Vertragsentwurf muss Guy Montavon zustimmen; das könne, so der OBM, „ein längerer Prozess sein“.

Fest steht indes: Der Prozess um Aufklärung von Machtmissbrauch und sexuelle Belästigungen am Theater Erfurt ist hartnäckigen Journalisten von Thüringer Allgemeine und Thüringischer Landeszeitung zu verdanken. Eine Zeittafel der Ereignisse veröffentlichte die Thüringische Landeszeitung in ihrer Ausgabe vom 31. Januar. Erst nach der Stadtratssitzung stiegen auch andere Medien auf das Thema ein, meist mit kurzen dpa-Meldungen. 
 


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