Putins Propagandakünstler

Wem gehört die Zukunft?

Ildar Abdrazakov ist nicht nur Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon, sondern auch diesmal wieder ein prominenter Unterstützer von Wladimir Putins „Wiederwahl“

Stephan Burianek • 19. Dezember 2023

Abdrazakov signalisiert seine Unterstützung für den Diktator (oben) und singt die Hymne (unten), Foto-Collage: Screenshot / russische Regierungsseite

Das Video eines pro-russischen Bloggers erinnert in gewisser Weise an die alte Sowjetunion: Viele Menschen in einem Saal heben auf Kommando eine rote Karte, rufen „Hurra“ und singen die Hymne. Sie haben sich in Moskau versammelt, um in einer martialischen Zeremonie die wiederholte „Kandidatur“ von Wladimir Putin für die „Wahl“ am 17. März 2024 zum russischen Präsidenten zu feiern. Die Hymne stimmt ein regimetreuer Popsänger an, ein neuer Shootingstar mit dem Künstlernamen Shaman. Er trägt einen massiven Scheitel über kurzgeschorenen, blonden Haaren und tritt diesmal im schwarzen Anzug auf, aber seine Fans kennen ihn in einer schwarzen Lederjacke mit Armbinde. Man fühlt sich bei ihm unweigerlich an den Nazi-Jungen erinnert, der im Musical «Cabaret» das Lied „Tomorrow Belongs to Me“ singt, und auch seine Liedtexte weisen in diese Richtung. Vor diesem Hintergrund wirkt diese Zusammenkunft wie die Vereinigung der beiden tödlichsten Ideologien des letzten Jahrhunderts. [1]

Mittendrin und in einer Großaufnahme gut zu erkennen ist ein Mann mit teilweise ergrautem Bart, der inbrünstiger mitzusingen scheint als seine Nachbarn: Ildar Abdrazakov. Dass der Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon seit Jahren ein unermüdlicher Unterstützer von Wladimir Putin ist, das weiß man spätestens seit unserem Artikel „Im Dienste des Bösen“ vom 22. Februar 2023. Mehrere Bühnenpartner Abdrazakovs haben sich seither bei der Redaktion gemeldet und unsere Recherchen bestätigt (namentlich genannt werden möchte von ihnen freilich niemand).

Das besagte Video ist ein guter Anlass, Abdrazakovs Wirken in den vergangenen Monaten Revue passieren zu lassen. Nachdem unser Artikel im diesem Frühjahr internationale Beachtung gefunden hatte – OPERN∙NEWS wurde u.a. von der renommierten Tageszeitung The Boston Globe erwähnt – fielen ihm sämtliche Engagements in den USA weg, darunter Konzerte für geplante CD-Aufnahmen. Zumeist wurden „persönliche“ Gründe genannt, und der Sänger betonte mehrfach, dass er sich selbst zurückgezogen hätte. Auffallend war aber, dass er dies hauptsächlich dort tat, wo zuvor medial berichtet wurde. So auch in München, wo er im Juli dieses Jahres für zwei Produktionen vorgesehen war. Kurz zuvor hatte sich Abdrazakov in einem russischen TV-Interview noch zuversichtlich gezeigt, in der Bayerischen Staatsoper aufzutreten. Nach zwei BR-Klassik-Beiträgen von Peter Jungblut, der sich ebenfalls auf OPERN∙NEWS bezog, wurde Abdrazakov u.a. durch den ukrainischen Bass Alexander Tsymbalyuk ersetzt. Abdrazakov verlautbarte, er brauche „eine Pause“. [2]


Kontakte nach Österreich

Vor diesem Hintergrund lässt sich ein öffentliches Facebook-Posting von Daniel Serafin beinahe schon als Statement interpretieren: Der Intendant der Oper im Steinbruch von St. Margarethen im Burgenland (Esterhazy Betriebe) und Organisator des Wiener Opernballs in New York postete am 28. September dieses Jahres ein Foto von sich und dem Bass in herzlicher Umarmung und gratulierte ihm mit warmen Worten zum Geburtstag: „You’re a wonderful friend; amazing artist; loving husband to Marika and caring father to your children!“, ist über dem Foto u.a. zu lesen. [3] 

 

Es entstand mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Four Seasons Hotel Lion Palace in St. Petersburg (eine diesbezügliche Anfrage an Daniel Serafin blieb zum Redaktionsschluss unbeantwortet). Dort fand am 27. September eine gediegene Geburtstagsfeier für den Bass statt. Zu diesem Zeitpunkt war außerdem das Ildar Abdrazakov Festival im Gange, das sich mithilfe staatlicher Zuschüsse die Förderung russischer Talente auf die Fahnen geschrieben hat. Am Vorabend dieses Festivals hatte man bereits zu einem luxuriösen Wohltätigkeitsball in den Wladimir-Palast in St. Petersburg geladen. Ein russisches Online-Medium veröffentlichte einen Bericht mit einer Fotostrecke, in der u.a. Personen als Gäste zu erkennen sind, die direkte Kontakte zum engsten Kreis der Putin-Partei Einiges Russland pflegen oder gar selbst als Teil davon gelten. [4]

Am 12. Oktober sang Abdrazakov bei einem Fußball-Freundschaftsspiel gegen Kamerun (Russland ist für internationale Bewerbe derzeit gesperrt) die Hymne der Russischen Föderation: „Glorreich seist du, unser freies Vaterland [...] Wir sind stolz auf dich!“. [5] Wenige Tage später veröffentlichte die UNO neue Beweise für die russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine, darunter Folter, Vergewaltigungen, Deportationen von Kindern. [6]


Letzter offizieller Arm Putins 

Shaman heißt derzeit Putins liebster Popstar (Youtube-Screenshot aus einem seiner Musikvideos)

Für Abdrazakovs Stellenwert in Russland spricht außerdem, dass er gemeinsam mit seiner Frau Marika im November eine Gesangstalente-Show im russischen Fernsehen moderiert hat und demnächst an einer voraufgezeichneten Neujahres-TV-Show mitwirken wird. [7] Die offizielle, aus rund 700 Namen bestehende Unterstützerliste für Putins Wiederwahl führt er aus alphabetischen Gründen ganz oben an, wie bereits die britische Internetseite Slippedisk festgestellt hat. [8] Der Online-Zeitung Bashinform war Abdrazakovs Zugehörigkeit zum „Team Putin“ – gemeinsam mit einem Kampfsportler – als Bürger der Stadt Ufa (Provinz Baschkortisan) zudem eine eigene Meldung wert. [9]

Neben Abdrazakov finden sich auch der Dirigent Valery Gergiev, Pianist Denis Matsuev, Violinist Yuri Bashmet, Opernsängerin Hibla Gerzmava, Filmregisseur Sergei Mikhalkov, Jazz-Saxophonist Igor Butman und Ballettänzer Nikolay Tsiskaridze auf dieser Unterstützerliste. Im Gegensatz zu Abdrazakov tritt mittlerweile keine der genannten Personen mehr in Europa auf. Wenn man so will, dann ist Abdrazakov der letzte offizielle Arm der russischen Kulturpropaganda in den Westen.

An Abdrazakovs Funktion im russischen Kulturbetrieb und an seiner Sympathie für Wladimir Putin stößt man sich im Fürstentum Monaco, wo Cecilia Bartoli Opernintendantin ist, offenbar wenig. Ungeachtet der internationalen Berichterstattung gastierte Abdrazakov in diesem Jahr an der Opéra de Monte-Carlo.

In den vergangenen Monaten sind einige russische Opernkünstler und -künstlerinnen, zumeist aus der zweiten oder dritten Reihe, vom Westen zurück nach Russland gezogen. Es werde dort neuerdings besonders viel bezahlt, heißt es. Man mag das moralisch verwerflich finden oder verstehen. Diesen Künstlern automatisch eine Unterstützung der Putin’schen Politik zu unterstellen, ginge zu weit. Wir kennen die jeweiligen Hintergründe nicht, womöglich dient ein solcher Schritt auch dem Versuch, die eigene Familie zu schützen oder die Gefahr einer Einberufung von Familienmitgliedern zu minimieren. 

Anders verhält es sich mit Personen, die bereits seit vielen Jahren dem System Putin zuzuordnen sind. Valery Gergiev zog bereits im Februar 2022 die Konsequenzen und legte sämtliche Funktionen und Engagements im Westen zurück. Der jahrzehntelange Intendant des Mariinsky-Theaters in St. Petersburg wurde von Putin kürzlich mit einer zweiten Leitungsfunktion geadelt: Gergiev ist künftig auch der Herr über das zweitgrößte Opernhaus Russlands, das Bolschoi-Theater in Moskau.

Abdrazakov steht nicht minder fest hinter Putin, ist aber nach wie vor im Westen aktiv – und aus diesem Grund für Putin besonders nützlich. Seine Präsenz im Westen dient bis zu einem gewissen Grad der Legitimierung des eigenen Systems im Ausland, aber vor allem im eigenen Land, denn in den gleichgeschalteten Medien Russlands wird immer wieder mit Stolz über den Erfolg der heimischen Sängerstars im Ausland berichtet.

In drei Tagen tritt er beim Ravenna Festival auf. Riccardo Muti hätte in diesem Jahr bereits in Chicago mit Abdrazakov auftreten sollen, nun wird die Zusammenarbeit auf dem Festival von Mutis Gattin gleichsam nachgeholt. Man fragt sich längst, ob hinter Abdrazakovs Engagements – demnächst etwa in Paris (Februar bis Mai 2024), Rom (Februar 2024 im Parco della Musica) und in Wien (Juni 2024) – für die dort Verantwortlichen womöglich mehr steckt als bloß künstlerisches Kalkül.

 

Update vom 23.12.2023: Die Opéra National de Paris gibt bekannt, dass Ildar Abdrazakov in der Titelpartie der Oper «Don Quichotte» (10. bis 29. Mai 2024) durch Christian Van Horn ersetzt werden wird.

Update vom 27.12.2023: Auf Nachfrage von OPERN∙NEWS teilt die Wiener Staatsoper mit, dass man sich „mit Herrn Abdrazakov im gegenseitigen Einvernehmen darauf verständigt“ habe, „dass es bis auf weiteres keine Auftritte von ihm an der Wiener Staatsoper geben wird.“

Update vom 04.01.2024: Kurz vor Weihnachten habe Ildar Abdrazakov seine drei für Februar 2024 geplanten Konzerte mit der Accademia Nazionale di Santa Cecilia „aus persönlichen Gründen“ abgesagt, wie die Instutution auf Nachfrage von OPERN∙NEWS mitteilt. Damit sind aktuell im Westen sämtliche Engagements des Sängers für die laufende Saison annulliert worden.

 


OPERN∙NEWS stellt diesen Artikel kostenlos zur Verfügung. Um uns regelmäßig zu lesen, kaufen Sie bitte ein Förderabo. Warum Sie für den Preis von einmal Kaffee und Kuchen im Monat dann sogar etwas Gutes tun, das erfahren Sie unter diesem Link!


 

Quellen

[1] Das Video mit englischen Untertiteln im Youtube-Kanal der Initiative Arts Against Agression: https://www.youtube.com/watch?v=Qk_uV4Deg6Y (das Original: https://vk.com/video-212459013_456254467?fbclid=IwAR2rmnzKsuXMnx4-iq78vCswI77kMv20nuS3GVthIIN87GdYwsEk44M5A44

Ein Bericht der Deutschen Welle über den Sänger Shaman: https://www.dw.com/de/popstar-shaman-geh%C3%B6rt-zu-putins-lieblingss%C3%A4ngern/video-65703636

[2] Peter Jungblut / BR-Klassik: „Absage bei den Münchener Opernfestspielen“: https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/ildar-abdrzabo-absage-muenchner-opernfestspiele-100.html

[3] Facebook-Posting von Daniel Serafin: https://www.facebook.com/daniel.serafin/posts/10161192325913970?ref=embed_post

[4] Bericht über den Wohltätigkeitsball imWladimir-Palast (Achtung: russische Seite): https://posta-magazine.ru/article/abdrazakov-ball-2023/?fbclid=IwAR2E_YWfreNHorAC2-dXiUAdu8Z7G3Jq7PUD8gRMa8egvlEKyT04VeZTbhA

[5] Video im Youtube-Kanal des russischen Fussballverbands: https://www.youtube.com/shorts/EAuTGlk85sM

[6] UN-Internetseite: „Commission of Inquiry finds further evidence of war crimes in Ukraine“: https://news.un.org/en/story/2023/10/1142617?fbclid=IwAR0vdGO1rYtsJ3t33vX4hCSb2hPW-siU33ZaqZ3bDOvOi6p6c5Q8VgXLMk4

[7] Link auf russische Seite mit dem Video-Stream zur Show „Große Oper“: https://smotrim.ru/brand/69865 

[8] Norman Lebrecht / slippedisk: Opera Star Declares for Putin: https://slippedisc.com/2023/12/opera-star-declares-for-putin/ 

[9] Link zur russischen Seite Bashinform: https://www.bashinform.ru/news/social/2023-12-11/deputat-gossobraniya-bashkirii-dzheff-monson-nagrazhdyon-ordenom-druzhby-narodov-3560235 

 

Zum Thema

OPERN∙NEWS 
Ildar Abdrazakov: Nun auch in München in der Kritik Langsam nimmt in Europa die Diskussion um den russischen Bass mit den guten Kreml-Beziehungen Fahrt auf 
– von: Stephan Burianek, 21.06.2023 

OPERN∙NEWS 
Internationale Reaktionen auf OPERN∙NEWS Unsere Kommentare und Recherchen zum Thema Ukraine bzw. Russland gingen global viral. Ein Überblick. - von: Stephan Burianek, 03.04.2023

OPERN∙NEWS 
Ildar Abdrazakov: Die Verlockungen von Macht und Geld. Nach unserem Artikel vom 22. Februar sieht der russische Starsänger in den USA und in Europa seine Felle davonschwimmen. In Russland ist er indes gut versorgt. 
– von: Stephan Burianek, 26.02.2023 

OPERN∙NEWS
Putins Propagandakünstler: Im Dienste des Bösen. Wer Anna Netrebko kritisiert, der muss erst recht den nicht minder gefeierten Bass Ildar Abdrazakov unter die Lupe nehmen.
 – von: Stephan Burianek, 22.02.2023