Interview

Selbständig und frei

In Südafrika war Megan Kahts ein Kinderstar. Nun wohnt die Mezzosopranistin in Wien und wechselt zwischen neuen und alten Partien

Stephan Burianek • 30. Oktober 2023

Megan Kahts: Konservativ erzogen...

Sie waren in Ihrem Heimatland Südafrika bereits als Kind ein Star. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Als ich mit sechs Jahren in die Schule kam und meine Lehrerin am Klavier erlebte, da wollte ich das auch unbedingt machen. Also haben mir meine Eltern ein Klavier gekauft. Außerdem habe ich immer den Gesang aus dem Radio imitiert. Später wurde im Schulchor eine Lehrerin auf mich aufmerksam und meinte, ich sollte gefördert werden. Daraufhin, mit neun Jahren, begann ich mit Gesangsunterricht. Das ist eigentlich zu früh, muss ich heute sagen, denn erst ab 21 Jahren ist der Kehlkopf voll ausgehärtet. Es ist sichererer für die Stimme, wenn man damit erst nach der Pubertät beginnt. Mein Lehrer war glücklicherweise vorsichtig, und ich konnte bereits sehr jung sehr viel lernen. 

Jedenfalls gab es zu jener Zeit in Großbritannien einen Kinderstar, Charlotte Church. Als ich mit zehn Jahren bei einem Gesangswettbewerb teilgenommen habe, saß im Publikum jemand von einer Plattenfirma und meinte, ich sei eine südafrikanische Charlotte Church. Nach einer kurzen Bedenkzeit und in Absprache mit mir haben meine Eltern dann einen Plattenvertrag unterschrieben. Danach ging alles recht schnell, ich war im Fernsehen, im Tonstudio und auf Tournee und habe als Teenager zwei CDs aufgenommen.

...zeigt sie mittlerweile gerne ihre wilde Seite © Damian Posse (beide Fotos)

Wie war das für Sie?

Das war wunderbar, denn ich wurde von allen Seiten gut umsorgt und geschützt.

Das heißt, Sie konnten sich als Teenager damals ausleben?

Ja, total. Ich habe die Liebe und die Aufmerksamkeit, die mir damals entgegengebracht wurde, sehr genossen und hatte die Möglichkeit, mit großen Stars auf der Bühne zu stehen. Das Gefühl, selbst mit einer kleinen Geste auf der Bühne eine große Wirkung erzielen zu können, hat mich fasziniert. Ich habe mich auf der Bühne so frei gefühlt, dass sie zu jenem Ort wurde, an dem ich am meisten zuhause war. Dort war ich in meiner eigenen Welt.

Wie sind Sie dann später in Wien gelandet, wo Sie seit einigen Jahren wohnen?

Auf irgendeinem Konzert bin ich einem österreichischen Ehepaar begegnet, das im Sommer in Wien und im Winter in Südafrika gewohnt hat. Es wollte mich fördern und brachte mich für ein Konzert nach Österreich. Ich glaube, da war ich 15. Damals sang ich in der MdW-Musikuni vor, wo ich später studiert habe. Der Institutsleiter meinte damals, ich solle meine Schule sofort verlassen und in Wien einen Vorbereitungslehrgang machen. Ich habe die Schule aber geliebt, außerdem konnte ich noch kein Deutsch, obwohl ich deutsche Vorfahren habe. Es war schon irgendwie lustig: Einerseits war ich damals extrem selbstbewusst und den Lehrern gegenüber furchtlos. Andererseits war ich in gewisser Weise abhängig und weniger selbständig als andere Kinder in diesem Alter.

Bedeutete das Studium in Wien für Sie später dann auch eine Art Selbstermächtigung? 

Ich hatte manchmal das Gefühl, ferngesteuert zu sein. Beispielsweise wollte ich keinen Crossover singen, und das war wohl meine Art zu rebellieren. Der Hauptgrund war aber vielleicht, dass ich in den späten Teenager-Jahren mit dem Impostor-Syndrom zu tun hatte, über das Renée Fleming in ihrem Buch geschrieben hat. Es ist schlimm, und man muss an sich arbeiten, um es zu überwinden. Der Umzug nach Wien half mir dabei.

Wie kann man sich das Impostor-Syndrom vorstellen?

Wenn man schnell erfolgreich wird, dann kann man es nicht glauben. Man denkt, die Leute sprechen von jemand anderem, denn man fühlt sich selbst nicht so groß. Ich kenne viele Sänger, die das haben, das Alter spielt dabei keine Rolle. 

Inwiefern wirkt sich dieses Syndrom auf Situationen im Alltag aus?

Man ist plötzlich nicht mehr so selbstbewusst, wenn man nach dem Auftritt wieder alleine ist. Man glaubt nicht, dass man selbst die Person ist, die den Erfolg gehabt hat. Mit 16 fragt man sich auch, wie es sein kann, dass man phantastische, 30-jährige Soprane hört, die keinen oder weniger Erfolg haben als man selbst. Man fragt sich dann, mit welchem Recht man bevorzugt wird.

Sie waren damals ein leichter Sopran, heute sind Sie ein hoher Mezzosopran mit einer Spezialisierung auf Barockwerke und Neue Oper.

Ja, wobei auch Mozart stark einfließt: Despina, Zerlina und Susanna sind tiefe Sopranpartien, die mir immer noch gut liegen. 

Diese und andere Partien haben Sie u.a. bei den Produktionen von Teatro Barocco von Bernd Bienert gesungen, der sich der einstigen Aufführungspraxis verschrieben hat. Der Gegensatz zur Neuen Oper Wien von Walter Kobéra, wo sie ebenfalls mehrmals aufgetreten sind und bald wieder auftreten werden, könnte szenisch wie musikalisch eigentlich nicht größer sein. Wie ist das für Ihre Stimme?

Als jemand, der konservativ erzogen wurde, waren die Engagements der Neuen Oper noch während meines Studiums besonders toll für mich. Sie haben mir ermöglicht, mich in Wien als Künstlerin zu sozialisieren sowie meine Künstlerpersönlichkeit in eine bislang unbekannte Richtung zu erweitern. In meiner ersten Rolle, die mir Walter Kobéra gegeben hat, musste ich beispielsweise eine Prostituierte mit Panikattacken und schizophrenem Charakter verkörpern. Das war nicht mehr das brave Engelchen, das ich davor auf der Bühne war, das war richtig wild. Durch die Neue Oper Wien konnte ich meinen Horizont stark erweitern. Ich merke, dass ich sowohl für Alte als auch für Neue Musik eine sehr flexible und fein geführte Stimme brauche, weil ich ständig für Koloraturen oder unangenehme Sprünge bereit sein muss.

Ebenso wie bald in Wien verkörperte Megan Kahts in «Die Judith von Shimoda» bei den Bregenzer Festspielen Ofuku / Clive an der Seite von Anna Davidson in der Titelpartie Okichi © Anja Köhler

Demnächst sind Sie in Wien in «Die Judith von Shimoda» von Fabián Panisello zu erleben, eine Produktion der Neuen Oper Wien, die im Sommer bereits in Bregenz zu sehen war. In einer grundsätzlich positiven Kritik konstatierte Bernhard Doppler für BR-KLassik: „Sehr eingängig ist die Musik sicher nicht, manchmal nervt sie sogar. Aber das soll sie ja vielleicht auch.“ – Soll sie das wirklich? Müsste man nicht wieder das Gemüt des Publikums ansprechen?

Ich sitze auch regelmäßig im Publikum, aber ich habe wahrscheinlich einen anderen Blickwinkel. Ich denke, wenn die Menschen ins Theater gehen, dann wollen sie sich vom Alltag befreien und vielleicht auch mal etwas total Wildes sehen. Die Geschichte von «Die Judith von Schimoda» stammt von Brecht und ist dementsprechend realistisch und hart. Diese Härte spiegelt sich in der Musik von Fabián Panisello wider, dessen Musik häufig ästhetische Stellen enthält, die an Messiaen erinnern, und der seine Musik sehr speziell instrumentiert. Mit seiner Musik in «Die Judith von Schimoda» setzt Panisello zweifellos ein Statement.

In Bregenz wurde das Werk parallel zu Puccinis «Madama Butterfly» gezeigt. In beiden Opern geht es um japanische Geishas.

Bei Puccini stirbt die Titelheldin an ihrem Leid. Aber in unserer Geschichte kämpft Okichi gegen ihr Leid an. Sie sagt, sie lebt nur um zu zeigen, was die Gesellschaft mit ihren Heldinnen macht. Sie hat nämlich mit dem amerikanischen Konsul geschlafen, um ihn zu besänftigen und um einen Krieg zu verhindern. Daraufhin wird sie von ihrer Kultur als unrein angesehen und verachtet. Aber sie sagt: „Wie kann man mich so behandeln?“ Auch sie geht an der Gesellschaft zugrunde, aber anders. 

Sie wechseln gerne zwischen dem „Honig“ der Alten Musik und dem „Pfeffer“ von Neuer Musik. 

Absolut. Ich bin ja eigentlich ein Mensch der Alten Musik. Ich liebe die Barockmusik mit ihren freien Phrasierungen, Händel ist als Sängerin mein Lieblingskomponist. Die Sänger waren früher so frei, dass sie mit ihren Verzierungen praktisch mitkomponiert haben. Neuen Werken wiederum kann ich als erste Interpretin der jeweiligen Partie ebenfalls meinen eigenen Stempel aufdrücken, oftmals in Absprache mit dem Komponisten.

Kürzlich haben Sie beim Liederherbst Wien in der Klimt-Villa auch Lieder u.a. von Samuel Barber, Erich Wolfgang Korngold und Richard Strauss gesungen. 

Im Konzertgesang ist man als Sängerin der Boss, zugleich wird man aber mehr gefordert als in der Oper, denn man steht neben dem Pianisten allein auf der Bühne. Bei einem Liederabend singt man in der Regel mehr als in einer Oper, und man kann sich auch nicht hinter einer Rolle verstecken. Auch die Farbpalette ist anders, man könnte sagen: Bei Liedern „malt“ man mit Wasserfarben, und in der Oper, in der man in der Regel kerniger singen muss, mehr mit Öl.

Als freier Künstler ist Selbstmarketing ein wichtiges Thema – wir leben ja in einer Zeit, in der jenen, die am lautesten schreien, am meisten Gehör geschenkt wird. Wie gehen Sie damit um?

Als freie Sängerin ist man zugleich Unternehmerin und Künstlerin, das ist natürlich eine Herausforderung. Ich bin auf Instagram, Facebook und LinkedIn, wo ich meine professionellen Profile selbst verwalte und zusätzlich private Konten habe. Ich trenne zwischen Privatleben und Öffentlichkeit, wobei ich die Zeit, die ich in die Sozialen Medien verbringe, in einem gesunden Rahmen halten möchte. Als Künstler hat man natürlich eine gesellschaftliche Verantwortung. Das ist mir bewusst, auch deshalb singe ich häufig in meinem Heimatland, auch wenn ich schon lange in Österreich lebe. In letzter Zeit beschäftige ich mich verstärkt mit der Woke Culture, die mich fasziniert, auch wenn ich selbst noch nicht weiß, was ich von ihr in Bezug auf bestimmte Diskussionen um kulturelle Aneignung und Gender-Themen halten soll. 

Uns wurde zugeflüstert, dass Sie gerade an einem Album arbeiten?

Stimmt, derzeit entwickle ich ein großes Herzensprojekt, das unserer Zeit entspricht. Als Mezzo genieße ich die Hosenrollen, denn in ihnen kann ich andere Welten entdecken, nicht nur stimmlich. Männer sind direkter, und obwohl ich eine ziemlich feminine Person bin, hat es für mich meistens etwas befreiendes, Männer zu spielen. Ich möchte noch nicht zu viel verraten, aber es wird ein Spiel der Geschlechter.


Das Gespräch wurde im Oktober 2023 in der Vinothek Walletschek im Wiener Schubertviertel geführt.

 


Wir schenken Ihnen diesen Artikel. Um uns regelmäßig zu lesen, kaufen Sie bitte für den Preis von einmal Kaffee und Kuchen im Monat ein Förderabo. Warum Sie dann sogar etwas Gutes tun, das erfahren Sie unter diesem Link!