Alois Mühlbacher

Singen als Ausdruck der Freiheit

Der einstige Sängerknaben-Star und nunmehrige Countertenor spricht im Interview über die Herausforderungen in seiner zweiten Karriere und erklärt, warum er nun mit einem eigenen Barock-Ensemble durchstarten möchte

Stephan Burianek • 12. September 2023

Alois Mühlbacher kann sich mit seiner einstigen Person heute kaum mehr identifizieren © Alexander Eder

Sie waren bereits als Teenager ein Star, sangen im Alter von 15 Jahren an der Wiener Staatsoper u.a. den Hirten im «Tannhäuser». Lassen Sie diese Zeit für uns bitte kurz Revue passieren.

Ich habe mich damals, auch wenn das jetzt vielleicht überheblich klingt, selbst ziemlich gut gefunden. Ich war mir meines Könnens bewusst, und so sehr ich mich über die Engagements an der Wiener Staatsoper natürlich gefreut habe, so selbstverständlich erschienen sie mir. Es ging mir alles sehr leicht von der Hand, so habe ich zum Beispiel in einem Monat die Partie der Zerbinetta gelernt und aufgenommen. Wenn ich mir heute die alten Videos anschaue, dann kann ich mich mit meinem damaligen Ich allerdings kaum mehr identifizieren, das ist für mich fast wie eine andere Person.

Irgendwann wurde klar, dass ich dieses extrem hohe Niveau nicht mehr lange halten werde können. Ich habe in der Stimmbruch-Phase aber in der hohen Lage weitergesungen und vor mir selbst und meinem Umfeld die tiefe Stimme quasi „versteckt“, könnte man sagen. So habe ich einfach in hoher Stimme weitergesprochen und die bereits fertig ausgebaute tiefe Stimme lange nicht bewusst zur Kenntnis genommen. Von meiner natürlichen Stimme her bin ich ein Bassbariton. Ich war aber an das hohe Singen gewöhnt und bin an dieser Klangvorstellung gehangen. Das ist wohl auch der Grund, warum ich jetzt ein Countertenor bin.

Das ist jetzt vielleicht eine blöde Frage, aber kann man zu einem späteren Zeitpunkt theoretisch auf eine tiefere Lage umsteigen?

Das habe ich mit meiner Lehrerin auch besprochen. Weil wir das gesamte Stimmband trainieren, wäre ein Umstieg später sogar einmal denkbar, und ich arbeite auch regelmäßig an meiner Baritonstimme. Beides parallel auf hohem Niveau zu singen wäre aber schwierig, ich kenne niemanden, der das macht.

Das heißt aber, Sie haben nach Ihrem Stimmbruch eine Zeitlang einfach weitergesungen, als ob nichts gewesen wäre?

Es kamen ja ständig weitere Aufträge rein. Ich bin mit 17 oder 18 Jahren an wichtigen Orten aufgetreten, und es war nicht immer leicht. Ich hatte eine Zeit lang nicht die volle Kontrolle über meine Stimme. Ich habe aber in den letzten Jahren viel an mir und meiner Stimme gearbeitet und hatte das Glück, die richtigen Leute um mich zu haben. Erst jetzt steige ich wieder so richtig in das „Geschäft“ ein. Um als Countertenor langfristig bestehen zu können, muss man erst eine gute Basistechnik aufbauen. 

Alois Mühlbacher baut nun seine Karriere neu auf © Alexander Eder

Heute sind Sie 28 und müssen sich Ihre Karriere neu aufbauen. Sie singen nun auch wieder in Opernproduktionen. 

Seit ungefähr zwei Jahren kann ich wieder einen richtigen Opernalltag bestreiten, es braucht dazu eine solide Technik, denn man muss jeden Tag „funktionieren“. Zuletzt sang ich am Linzer Landestheater, die Rolle des Eustazio in Händels «Rinaldo». Früher ist es mir allein schon aufgrund meines beinahe erschreckenden Selbstbewusstseins leicht gefallen, heute kommt das Selbstbewusstsein erst durch das eigentliche Können. 

Oper macht mir besonders Spaß, weil ich mich da beim Singen sehr frei fühle. Außerdem habe ich eine Zeitlang Schauspiel studiert, aber mir war letztlich das Eintauchen in die jeweilige Rolle und die Auswirkungen auf einen selbst zu intensiv. Beim Singen ist das anders, da gibt man bereits durch die Stimme viel ab und die Musik übernimmt den intensiven Ausdruck. 

Wenn Sie Ihre heutige Stimme als Produkt beschreiben müssten, was würden Sie sagen?

Ich denke, vom reinen Klang, den ich als Knabe hatte, ist noch etwas geblieben, außerdem moduliere ich meine Stimme gerne und singe daher auch gerne Lieder, wie auf meinem zuletzt erschienenen Album „Urlicht“ zu hören ist. 

Der Dirigent Franz Welser-Möst sagte seinerzeit, er hätte noch nie eine solche Knabenstimme gehört, wie die Ihrige. Nach seiner Aussage klang sie wie ein Frauensopran und hatte zugleich eine große Spannweite. Sind Sie heute noch mit ihm in Kontakt?

Ja, ich habe vor nicht allzu langer Zeit in einer von ihm dirigierten Messe gesungen, und in dem von ihm ins Leben gerufene Projekt „Hausmusik Roas“, das in Oberösterreich einen neuen Blick auf die Volksmusik richtet, bin ich auch jedes Jahr dabei.

Dafür, dass Ihnen die Oper einen „großen Spaß“ macht, wie sie sagten, nimmt die Konzerttätigkeit einen beträchtlichen Teil Ihres Kalenders ein.

Leider ist es wegen der üblichen Probenzeiten nicht so einfach, Konzerte mit Opern zu kombinieren. Man bekommt selten fünf Tage frei, wenn man in einer Probenphase einer Opernproduktion steckt. Ich hatte kürzlich drei spannende Anfragen für Opernproduktionen, aber wenn man bereits zwei Konzerte vereinbart hat, die in die Vorbereitungszeit fallen, dann lehnen sie ab und engagieren jemand anderen.

Alois Mühlbacher mit seinem musikalischen Mentor Franz Farnberger © Georg Wiesinger

Mit dem Stift St. Florian nahe Linz, deren Star Sie waren, sind Sie nach wie vor verbunden. Ihr Album «Nisi Dominus» wurde dort aufgenommen.

Ja, mit dem Stift St. Florian bin ich nach wie vor sehr eng verbunden. Franz Farnberger ist mein musikalischer Mentor und Berater und wie ein Familienmitglied. Wir haben übrigens ein neues Ensemble gegründet, „Pallidor“, benannt nach dem Dichter Georg Christian Lehms, der viele Texte zu Bach-Werken geschrieben hat und dessen Pseudonym das war. Wir spielen gerade Bach-Kantaten ein. 

Als Sänger ein eigenes Ensemble zu haben, klingt nach paradiesischen Zuständen.

Es war mir schon länger ein Anliegen, ein eigenes Ensemble zu gründen. Man kommt mitunter nach einer langen Vorbereitung, in der man sich intensiv mit dem jeweiligen Stück auseinandergesetzt hat, zu den Proben, wo dann in der gemeinsamen Einstudierung einiges umgekrempelt wird. Manchmal wird es dann phantastisch und dadurch Neues offenbart, aber nicht immer ist man damit einverstanden. Gerade anhand der Aufnahme von Vivaldis «Nisi Dominus» habe ich gesehen, was rauskommen kann, wenn ich meine eigenen Vorstellungen in Bezug auf die Differenziertheit zwischen den einzelnen Nummern und hinsichtlich einzelner Verzierungen verwirklichen kann.

Können Sie dafür ein Beispiel geben?

In „Vanum est vobis“, der zweiten Nummer, haben wir extrem stark verziert. Im Text heißt es übersetzt: „Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht / und euch spät erst niedersetzt, um das Brot der Mühsal zu essen.“ – An dieser Stelle haben wir stark in das Notenbild eingegriffen, nachdem wir uns musikgeschichtlich mit dem Werk und seiner Zeit auseinandergesetzt haben. Zu Vivaldis Zeit hatte der Sänger ganz viele Freiheiten, und zwar nicht nur im Dacapo, sondern bereits im ersten Teil. Es existieren ja bereits viele phantastische Aufnahmen, aber so haben wir eine ganz eigene Interpretation von diesem Werk geschaffen.

«Nisi Dominus» ist die Vertonung eines Psalms aus der Bibel. Dieser Psalm folgt einer Lebensweisheit, nach der man sein Lebensglück nicht selbst in der Hand hat, weil Gott alles bestimmt. Ist das noch zeitgemäß?

Ich empfinde das Werk als transzendental. Für die großen Fragen sind wir vielleicht mitverantwortlich, aber natürlich können wir im Leben nicht alles beeinflussen. Einerseits mag die Erkenntnis, dass wir nicht alles in der Hand haben, erschreckend sein, andererseits könnte man es auch als befreiend sehen, dass man nicht immer für alles bis zum Ende verantwortlich ist. Ich selbst sehe mich im «Nisi Dominus» als Zelebrant, der die Botschaft verkündet – anders als beispielsweise in einer Opernpartie, in der man das Gesungene mitfühlen sollte.

Sind Sie religiös?

Ich wurde im positiven Sinn konservativ erzogen, mit allem, was am Land so dazugehört. Ich war natürlich Ministrant. Ich habe mir mit der Musik dann aber ein eigenes Gottesbild geschaffen, das wohl Züge eines naiven Zugangs hat, aber vom herkömmlichen Konzept ein wenig abweicht. Wenn man durch das Musizieren in eine Art meditativen Zustand kommt, das ist für mich der Beweis, dass es etwas Größeres gibt. Auf meine Art würde ich mich schon als gläubig bezeichnen.

Aus der Pandemie-Zeit stammt ein schräges Video, in dem Sie gemeinsam mit dem österreichischen Spring String Quartet in üppigen, grellen Kostümen und in barockem Ambiente den Queen-Hit „Don’t Stop Me Now“ singen. Ich halte es für extrem gelungen, denn es zeigt, dass auch die Rockmusik wunderbare Kompositionen zu bieten hat – und in ihrer Essenz mitunter weniger weit von der Klassik entfernt liegt, als die meisten Leute vielleicht denken. 

Das ist sicherlich auch dem großartigen Arrangement von Georg Wiesinger zu verdanken. Wir wollten damals während des Corona-Stillstands auf der Bühne ein neuartiges Youtube-Video produzieren. Zunächst war ich mir gar nicht sicher, ob das Ergebnis nicht zu „crazy“ ist und ob wir das Video überhaupt veröffentlichen sollen. Lustig war aber, dass in meiner Heimatgemeinde genau jene Leute, von denen ich es mir am wenigsten erwartet hatte, mich begeistert darauf angesprochen haben. Ich denke, es ist heute wichtig zu zeigen, dass gute Popmusik auch klassisch wunderbar interpretiert werden kann und vice-versa. Es sollte um die Musik gehen und nicht um die Einteilung E(rnst) oder U(nterhaltung). Wir werden demnächst ein weiteres Video drehen.
 


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Alben

Alois Mühlbacher spielte die Sakralwerke „Nisi Dominus“ von Antonio Vivaldi und Pergolesis „Stabat Mater“ in Begleitung des Ensembles Scaramouche unter der Leitung von Franz Farnberger ein. Das Kammerensemble besticht in der Aufnahme durch eine große Unmittelbarkeit und Klarheit, und wenn im „Cum dederit“ des „Nisi Dominus“ Mühlbachers vibratoloser, immer noch engelreiner Gesang in höchster Lage zeitweise mit den Violinen zu verschmelzen scheint, dann hat man das wohl noch nie so gehört. Pergolesis „Stabat Mater“ singt Mühlbacher gemeinsam mit dem ebenfalls erstklassigen St. Florianer Sängerknaben Christian Ziemski. (Preiser Records, 2020)

Stimmungsvoll und völlig ungewohnt klingen die Mahler- und Strauss-Lieder auf Mühlbachers Album „Urlicht“. Ungewohnt, weil man bei diesen Liedern einen satten Sopran erwartet und stimmungsvoll, weil Mühlbachers schlanker Countertenor phasenweise für eine ergreifende Zartheit sorgt – etwa in der Strauss‘schen Vertonung des Rückert-Gedichts „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Am Klavier wird Mühlbacher auch hier von seinem Mentor Franz Farnberger begleitet. Das Ergebnis sorgte durchaus für Furore: In drei Kategorien war dieses außergewöhnliche Album für den Opus Klassik nominiert. (Ars Production, 2022)

 

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YOUTUBE / ALOIS MÜHLBACHER
Video: Cover-Version von Queens „Don’t Stop Me Now“