Putins Propagandakünstler

Kriegstreiber im Bolschoi-Theater

Künstler der Moskauer Institution spenden offenbar Geld für Bomben und Munition und feiern die Taten russischer Soldaten in der Ukraine. Auch der Direktor unterstützt Putin

Ute Grundmann • 01. August 2023

Im Bolschoi-Theater wird für die russische Armee gesammelt © Stephan Burianek / freepik.com

„Sie kaufen Bomben, Drohnen und Munition und posten stolz Bilder davon.“ – „Sie“ sind eine Gruppe von Künstlern und Mitarbeitern des Moskauer Bolschoi-Theaters, die Geld und Ausrüstung für die russische Armee sammeln. Außerdem werden Bilder der Unterstützer auf dem Telegram-Kanal „Bolschoi für die Front“ (Большой – фронту) geteilt. So prangert es der Choreograph Alexei Ratmansky auf seinem Facebook-Profil an. 

Allen voran soll hierbei die Ex-Primaballerina Nadezhda Gracheva treibende Kraft sein. Auch der Kontrabass-Spieler des Bolschoi, Kirill Nosenko, beteiligt sich offen an der Kampagne: Er nennt, wie auch Gracheva, seinen vollen Namen, alle anderen Unterstützer geben nur ihre Vornamen an. Die britische Internetseite Slipped Disk veröffentliche kürzlich Fotos mit weiteren Musikern aus dem Orchester, in denen diese mit dem russischen „Z“-Kriegssymbol posieren.

Nadezhda Gracheva beginnt jeden ihrer Aussagen in Sachen Ukraine-Krieg mit „Liebe Verteidiger!“ – womit sie die russische Armee meint. Aber ist nicht Russland der Aggressor in der überfallenen Ukraine? Für diese Gruppe offenbar nicht, was Wladimir Putins stetig wiederholter Behauptung von einer „militärischen Spezialoperation“ eine weitere Variante gibt.

Gracheva poste außerdem Fotos von Paketen, die an russische Soldaten an die Front geschickt werden, ergänzt Alexei Ratmansky auf Nachfrage. Darauf seien handgeschriebene Aufkleber zu sehen, auch hier ist „Liebe Verteidiger!“ zu lesen. Für diese Gruppe ist nicht Russland der Aggressor.

Mit diesen so sehr unterschiedlichen Statements stehen sich nun, nach vielen anderen russischen Künstlern, zwei ehemalige Kollegen auf den verschiedenen Seiten der Front gegenüber. Alexei Ratmansky, 1968 in Leningrad, heute wieder St. Petersburg, geboren, erhielt seine Tänzer-Ausbildung am Bolschoi-Theater, war 1. Solist im ukrainischen Nationalballett. Seitdem ist er international erfolgreich als Choreograph tätig. Nadezhda Gracheva, 1969 in Kasachstan geboren, gehört seit 1988 zum Bolschoi-Theater, seit dem Ende ihrer Tänzerinnen-Karriere arbeitet sie dort als Tanz-Lehrerin. Immer wieder prangt in ihren Aussagen einer ihrer drei russischen Orden; meist der „Vaterländische Verdienstorden“.

„Danke, dass ihr euer Leben riskiert, um unser Mutterland, unsere Kinder und unseren Glauben zu retten“, lautet einer der zentralen Sätze Grachevas, die sich auch sicher zeigt, „zusammen werden wir bestimmt gewinnen“. Der Name der Ukraine, das Leid der Menschen dort hat hier keinen Platz. Ihre Briefe liegen Paketen bei, die an die Front geschickt werden, berichtet Ratmansky. 

Der Choreograph verließ Moskau sofort nach dem russischen Überfall auf die Ukraine, obwohl er gerade am Bolschoi-Theater eine Ballett-Premiere vorbereitete; seine künstlerischen Mitarbeiter folgten ihm. Seine und die Werke anderer Künstler allerdings werden in Moskau weiterhin gespielt, ohne deren Zustimmung, „unter Umgehung aller Urheberrechtsbestimmungen, also illegal“, wie die Süddeutsche Zeitung am 14. Juli berichtete. 

Was steht ihnen bevor? Alexei Ratmanskys Arbeiten (im Bild „Tschaikowski-Ouvertüren“ an der Bayerischen Staatsoper) werden im Bolschoi-Theater derzeit ohne seine Zustimmung weiterhin gezeigt © Wilfried Hösl

Dass auch seine Werke nun als „Version des Bolschoi-Theaters“ und ohne seinen Namen gezeigt werden, bestätigt Ratmansky gegenüber OPERN.NEWS: „Das ist in Russland seit der Zeit von Breschnew nicht mehr geschehen. Gorbatschow hat diese beschämende Praxis letztlich geändert. Ich habe meine Lizenz schriftlich widerrufen, bis jetzt habe ich darauf keine Antwort erhalten.“ Dem Choreografen Ilya Jivoy sei dasselbe passiert, so Ratmansky, dessen Werke würden nun am Mariinsky-Theater in St. Petersburg gespielt, ebenfalls ohne Namensnennung. 

Auch Alexander Molochonikow sei im vergangenen September am Bolschoi-Theater gefeuert worden, weil er sich gegen den Krieg ausgesprochen hatte, bestätigt Ratmansky auf Nachfrage. Es existierten schon Verträge für zwei Opern-Inszenierungen.

Wladimir Urin, seit 2013 Direktor des „Großen Theaters“, folgte allerdings gehorsam Putins Homophobie und kippte Kirill Serebrennikovs „Nurejew“-Ballett aus dem Spielplan. Auch die «Don Pasquale»-Inszenierung des kriegs- und kremlkritischen Regisseurs Timofei Kuljabin darf dort nicht mehr gespielt werden. 

Urin hatte zunächst, wenige Tage nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, eine Petition unterzeichnet, die von allen Konfliktparteien forderte, die Feindseligkeiten einzustellen und sich an den Verhandlungstisch zu setzen (Deutsche Welle 3. März 2022). Dafür hatte er heftige Kritik geerntet. Medien verbreiteten das Gerücht, Valery Gergiev könnte neben dem Mariinsky-Theater in St. Petersburg nun auch das Bolschoi als Direktor übernehmen. Nach dem Putschversuch durch Jewgeni Prigoschin wurde im Youtube-Kanal des Bolschoi-Theaters aber ein Video publiziert, in dem Urin den russischen Angriff unterstützt; allerdings wirkt er dabei gezwungen, als täte er dies nicht ganz freiwillig.

Tugan Sochijew dagegen, Chefdirigent am Bolschoi wie auch in Toulouse, gab beide Posten auf, um der „untragbaren Wahl“ zwischen einem russischen und einem französischen Orchester zu entgehen (Der Standard Wien, 8. März 2022). Und die Theaterlegende Lev Dodin rief Putin zu: „Ich flehe, hören Sie auf!“ (Die Presse, Wien, 1. März 2022).

Nichts davon in den Äußerungen Nadezhda Grachevas. Zwar schreibt sie „Nichts Schlimmeres gibt es in der Welt als Krieg“, nur um dann an die Adresse der russischen Soldaten fortzufahren: „Ich möchte mich für eure Stärke und euren Mut bedanken. Ruhe und Frieden aller russischen Bürger liegt an euch. Zusammen sind wir stark!“ Sie lobt und ermuntert die russische Armee also, eine Armee, die „mordet, zerstört, zerbombt, flutet die Ukraine und fährt fort, Kriegsverbrechen auf dem Territorium eines souveränen Staates zu begehen“, klagt dagegen Alexei Ratmansky an.

Eben das aber, das Bestehen eines unabhängigen Nachbarstaates, hört Putin nicht auf zu leugnen. Jüngste Variante: „In der ganzen Menschheitsgeschichte hat es nie eine Ukraine gegeben.“ (kürzlich in den ARD-Tagesthemen). Das Gegenteil beweisen immer mehr ukrainische Musiker, Autoren, Orchester und Sänger, die im Westen immer mehr bekannt und gehört werden. Längst ist Valentin Silvestrov, der mit 84 Jahren aus Kyiv nach Berlin fliehen musste, nicht mehr der einzige bekannte ukrainische Komponist. Tanja Maljartschuk, Siegerin im Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2018, fragte schon 2014, nach dem russischen Überfall auf die Krim, in einem Essay: „Russland, du bist ein großes und reiches Land. Sage mir bitte, wozu brauchst du jetzt auch noch mein Land und mein Geld?“ (u.a. Leipziger Volkszeitung, 28. Juni 2023)

In ihrer Eröffnungsrede zum diesjährigen Wettbewerb klagte Maljartschuk an: Seit dem „brutalen Angriffskrieg gegen mein Land“ betrachte sie sich „als eine gebrochene Autorin, eine ehemalige Autorin, eine Autorin, die ihr Vertrauen in die Literatur und – schlimmer noch – in die Sprache verloren hat.“ (u.a. Leipziger Volkszeitung 28. Juni 2023) 

Unabhängig davon wird laut Ratmansky am Schwarzen Brett des Bolschoi-Theaters dafür geworben, sich für „Bolschoi für die Front“ zu engagieren. 
 


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