Ildar Abdrazakov

Nun auch in München raus

// Update // Knalleffekt an der Bayerischen Staatsoper: Der Ukrainer Alexander Tsymbalyuk ersetzt den russischen Bass bei den Opernfestspielen in Mussorgskis «Boris Godunow»

Stephan Burianek • 30. Juni 2023

Wird nun doch nicht den Boris Godunov in Münchener singen: Ildar Abdrazakov © Gil Zetbase, CC BY-SA 4.0

*** Update vom 03.07.2023: In seinem Instagram-Profil ließ Ildar Abdrazakov verlautbaren, dass er mit großem Bedauern nun auch die restlichen Juli-Termine an der Bayerischen Staatsoper abgesagt habe. Er müsse „eine Pause“ einlegen, so Abdrazakov weiter, und „alle Shows im Juli“ absagen. ***
 

*** Update vom 02.07.2023: Laut der britischen Internetseite Slippeddisk war die Umbesetzung notwendig geworden, nachdem Abdrazakov am Tag vor dem Beginn der Proben absagte, um für ein höheres Honorar in Moskau auftreten zu können. Bereits im Dezember 2022 ist der Mailänder Scala mit diesem Sänger dasselbe passiert. Wenn die Slipped-Disc-Meldung stimmt, dann stellt sich die Frage: Wie lange lassen sich europäische Häuser wie die Staatsopern in München, Wien, Paris, Rom und Monte-Carlo noch an der Nase herumführen? ****
 

Es habe ihm in Europa „glücklicherweise noch niemand abgesagt“, erklärte Ildar Abdrazakov in einem Video-Interview mit der staatlichen russischen Nachrichtenagentur TASS vor wenigen Tagen, und er werde demnächst in München die Titelpartie in Mussorgskis «Boris Godunow» singen. 1

Der Druck wurde aber offenbar doch zu groß, obwohl man auch in München vor kurzem noch betonte, an dem russischen Star-Bass festhalten zu wollen. Seit heute steht fest: Statt Abdrazakov wird der Ukrainer Alexander Tsymbalyuk singen, der in dieser Partie bereits bei der Münchner Premiere vor zehn Jahren brillierte. Offiziell gibt die Bayerische Staatsoper, die für eine telefonische Stellungnahme kurzfristig nicht erreichbar war, in einer Presseaussendung „familiäre Gründe“ des Sängers an.

Abdrazakov war im Februar nach dem OPERN∙NEWS-Artikel „Im Dienste des Bösen“ aufgrund seiner guten Beziehungen zur Putin-Partei „Einiges Russland“ in die Kritik geraten. Während daraufhin sämtliche Engagements in den USA gestrichen wurden, beharren einige europäische Opernhäuser nach wie vor auf die mit Abdrazakov geschlossenen Verträge.

Doch je näher die Termine rücken, desto lauter wird die Kritik: Kürzlich wurde Abdrazakov an der Mailänder Scala, wo er gemeinsam mit Elīna Garanča und Anna Netrebko in Verdis «Don Carlo» als Philipp II. die kommende Saison eröffnen hätte sollen, still und gleichsam heimlich durch René Pape ersetzt. 

Nun ist Abdrazakov auch in München raus, zumindest in «Boris Godunow». Dem war vor wenigen Tagen auch ein BR-Klassik-Beitrag von Peter Jungblut vorangegangen, der mit Verweis auf die Recherchen von OPERN∙NEWS der Frage nachging, warum der Russe immer noch auf der Besetzungsliste steht. Im BR-Klassik-Beitrag verwies ein Sprecher der Bayerischen Staatsoper darauf, dass Abdrazakov in der nächsten Spielzeit voraussichtlich auch an der Wiener Staatsoper, in Paris, Rom, Zürich und Monte Carlo singen wird. Ob es dazu kommen wird, bleibt abzuwarten.2

Im Münchener «Boris Godunow» wird es übrigens eine weitere Umbesetzung geben: Auch Maxim Paster, der in «Boris Godunow» den Fürsten Schuiskij singen hätte sollen, musste ersetzt werden – das Ensemblemitglied des Moskauer Bolschoi-Theaters erhielt dem Vernehmen nach kein Visum. Für ihn springt nun Gerhard Siegel ein. 

Ganz raus ist Abdrazakov in München allerdings noch nicht, denn noch steht er offiziell auf der Besetzungsliste, als Philipp II. in Verdis «Don Carlo». Die erste von zwei Vorstellungen ist für den 28. Juli angesetzt – bis dahin wird noch viel Wasser die Isar hinabfließen.

 


Spendenaufruf: Freie Presse gegen ruZZische Kulturpolitik.
Wir haben den Nerv getroffen – und damit wir weitermachen können, brauchen wir Sie!


 

Verweise

1 TASS-Interview mit Ildar Abdrazakov (auf Russisch) vom 26.06.2023

2 Peter Jungblut: Darum darf er bei den Münchner Opernfestspielen singen, BR-Klassik, 16.06.2023
 

Zum Thema Ildar Abdrazakov

OPERN∙NEWS 
Ildar Abdrazakov: Nun auch in München in der Kritik. Langsam nimmt in Europa die Diskussion um den russischen Bass mit den guten Kreml-Beziehungen Fahrt auf. 
– von: Stephan Burianek, 21.06.2023

OPERN∙NEWS 
Ildar Abdrazakov: Die Verlockungen von Macht und Geld. Nach unserem Artikel vom 22. Februar sieht der russische Starsänger in den USA und in Europa seine Felle davonschwimmen. In Russland ist er indes gut versorgt. 
– von: Stephan Burianek, 26.02.2023 

OPERN∙NEWS
Putins Propagandakünstler: Im Dienste des Bösen. Wer Anna Netrebko kritisiert, der muss erst recht den nicht minder gefeierten Bass Ildar Abdrazakov unter die Lupe nehmen.
 – von: Stephan Burianek, 22.02.2023

 

Zum Thema Ukraine/Russland

OPERN∙NEWS 
Internationale Reaktionen auf OPERN∙NEWS Unsere Kommentare und Recherchen zum Thema Ukraine bzw. Russland gingen global viral. Ein Überblick. - von: Stephan Burianek, 03.04.2023

OPERN∙NEWS
Anna Netrebko: Das doppelte Spiel geht weiter. Bis heute wartet man vergeblich auf ehrliche Worte des Bedauerns der bekannten russischen Opernsängerin. – von: Martin Kienzl, 07.02.2023

OPERN∙NEWS 
Interview: „In Russland leben nur wenige ‚echte‘ Russen“. In der Ukraine ist russische Musik verboten. Die krimtatarisch-stämmige Mezzosopranistin Lena Belkina erklärt, weshalb das kein extremer Nationalismus sondern eine Überlebensstrategie ist. 
– von: Stephan Burianek, 15.03.2023 

OPERN∙NEWS
Interview: „Unsere Kultur wird endlich gesehen und gehört“. Die ukrainische Dirigentin Nataliia Stets ist die erste Stipendiatin der Sächsischen Akademie der Künste. Sie spricht über ihre Arbeit in Graupa, ihre Forschungen zu Franz Xaver Mozart und über die Situation in ihrem Heimatland. 
– von: Ute Grundmann, 19.12.2022

OPERN∙NEWS
Zur Situation in der Ukraine Kunst und Kultur unter Beschuss Soll man russische Kunst und Künstler boykottieren oder gerade jetzt unterstützen? Unabhängig von dieser Frage ist das Interesse an ukrainischer Kunst gestiegen. 
– von: Ute Grundmann, 09.11.2022

OPERN∙NEWS
Olga Bezsmertna: „Wir waren nie Brüder und Schwestern“. Die ukrainische Sopranistin über die Frage, was sie über ihre russischen Kolleg:innen denkt, welche Werke ihrer Heimat bei uns noch entdeckt werden sollten und wie sie es mit der Regie hält. 
– von: Stephan Burianek, 10.06.2022