In eigener Sache

Keine ruzzischen Verhältnisse

Der Dirigent Michael Güttler und seine Frau Alesia Shapovalova haben uns über ihren Anwalt mehrere Abmahnschreiben geschickt. Wir werden uns weiterhin für die Wahrung der Pressefreiheit einsetzen

Stephan Burianek • 18. Mai 2023

Kürzlich traf ich eine ukrainische Sängerin aus dem überwiegend russischsprachigen Osten der Ukraine. Sie war letztes Jahr unter unglaublichen Bedingungen nach Wien geflüchtet, hatte zuvor wochenlang nicht geduscht, aus Angst, im Fall eines Raketentreffers im nassen Zustand bei Eiseskälte auf die Straße laufen zu müssen. Ihr Haus steht glücklicherweise noch, aber hundert Meter weiter hatten die Menschen weniger Glück. Drei Tage nach ihrer Flucht besetzten die Russen ihre Stadt: „Sie sagten, sie wollten russischsprachige Ukrainer wie mich ‚befreien‘. Aber ich hatte nie darum gebeten, von irgendjemandem ‚befreit‘ zu werden, mir ging es gut“, sagt sie heute.

Zuvor arbeitete sie einige Jahre in Moskau, kennt die Szene dort gut. Und natürlich weiß sie, wer Michael Güttler und seine Frau Alesia Shapovalova sind. Die beiden haben opern.news über ihren Anwalt mehrere Abmahnbriefe geschickt, weil sie mit der Darstellung ihrer Person aus ukrainischer Sicht nicht zufrieden waren. Darüber kann die besagte ukrainische Sängerin nur schmunzeln: „In der russischen und ukrainischen Opernbranche weiß jeder, wer die beiden sind.“

Dass der einstige Assistent von Valery Gergiev und die Freundin von Anna Netrebko bei einigen Ukrainern skeptisch beäugt werden, erscheint klar, zumal eine ganze Reihe in der Welt verstreute Ukrainer gibt, die dem Paar in den Sozialen Medien gefolgt sind und opern.news gegenüber bezeugen, was in Kommentaren, die teilweise nicht mehr allgemein auffindbar sind, gestanden ist. Von manchen Postings, die im Einklang mit der russischen Propaganda stehen, existieren Screenshots – in mehreren Browser-Versionen, wohlgemerkt, sind also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit echt.

Güttler räumt selbst ein, Assistent von Valery Gergiev und über mehrere Jahre hindurch am Mariinsky-Theater als Gastdirigent tätig gewesen zu sein. Außerdem ist auf der Homepage der Künstleragentur Hilbert zu lesen, er sei Chefdirigent in Ekaterinburg gewesen.

Weder diese Funktionen noch die erwähnten Postings wären sonderlich schlimm, würden die Güttlers zu ihren Fehlern aus der Vergangenheit stehen, Reue zeigen und sich nun für die Gegenseite stark machen. Nach uns vorliegenden Informationen ist nichts von alledem der Fall. Immerhin betont das Ehepaar unermüdlich, sich um ukrainische Flüchtlinge zu kümmern. Zugleich verkündete Alesia Shapovalova erst kürzlich auf Facebook: „ich [...] werde für die russische Kultur, die russische Literatur, die russische Musik und großartige russischsprachige Künstler weiterhin einstehen.“ – was bei ukrainischen Beobachtern naturgemäß als Widerspruch und als wenig sensibel gebrandmarkt wird.

Dass Herr und Frau Güttler/Shapovalova im Zusammenhang mit dem Artikel „Party mit Tränen“ von Boris Pekarski mittels Abmahnbriefen mehrfach belegte Tatsachenbehauptungen über ihren Anwalt bekämpfen, werten wir als Versuche der Einschüchterung. Noch herrschen bei uns aber keine ruzzischen Verhältnisse, noch ist die Pressefreiheit in Mitteleuropa ein geschütztes Gut. Auch wenn wir – im Gegensatz zu manchen ukrainischen Aktivisten – kein Interesse daran haben, diese Angelegenheit vor Gericht auszubreiten, so sähen wir ebendies im Falle des Falles als unsere Pflicht. Wir werden uns weiterhin für eine unabhängige Berichterstattung und für die Suche nach der Wahrheit einsetzen, auch wenn es Zeit und Geld kosten sollte.

 

Dieser Artikel wurde am 5. Juni und am 16. Juli 2023 redaktionell bearbeitet

Stephan Burianek ist Gründer und Herausgeber von opern.news


 


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