Schubert-Album

Leidenschaftlicher Barde

Andrè Schuen entdeckt mit Daniel Heide am Flügel in Schuberts «Schwanengesang» zahlreiche Facetten

Klaus Kalchschmid • 22. Dezember 2022

Der mittlerweile 38 Jahre alte ladinische (Bass-)Bariton Andrè Schuen ist längst kein Geheimtipp mehr. Das war er allerdings 2015, als er mit Daniel Heide bei Avi eine raffinierte Schumann/Wolf/Martin-CD herausbrachte. Ihr folgten eine schöne Schubert-CD und eine mit Liedern sowie Schottischen und Irischen Folksongs zu Klaviertrio-Begleitung von Ludwig van Beethoven. Daneben erlebte man ihn unter anderem als großartigen Guglielmo in Mozarts «Così fan tutte» am Münchner Gärtnerplatztheater und dann im Corona-Sommer 2020 in derselben Partie bei den Salzburger Festspielen.

Bereits im Mai zuvor nahm er, mittlerweile Exklusivkünstler der Deutschen Grammophon, Franz Schuberts «Die schöne Müllerin» auf. Diese Aufnahme konnte es spielend aufnehmen mit den zahlreichen hervorragenden Einspielungen, sogar durch Tenöre von Fritz Wunderlich bis Pavol Breslik oder Mezzos wie Christa Ludwig, Brigitte Fassbaender und Nathalie Stutzmann. Denn Schuen hatte sich, wie auch live zu erleben war in einem unvergessenen Münchner Liederabend im Januar 2022, das Schicksal dieses vielleicht 17-jährigen Müllersburschen so unmittelbar zu eigen gemacht, dass er traumwandlerisch sicher zwischen unmittelbar anteilnehmender Verkörperung und distanzierter Berichterstattung wechseln, ja diese beiden Haltungen miteinander verschmelzen konnte. 

Vor der abschließenden «Winterreise» nun also «Schwanengesang». Das sind die 14 letzten Lieder Schuberts, im Sommer und im Oktober 1828 komponiert und posthum vom Verleger in der Anordnung herausgegeben, wie Schubert sie fortlaufend hintereinander komponiert hatte, freilich ohne sie zu nummerieren. Deshalb hat man immer mal wieder die Reihenfolge verändert dieser sieben Vertonungen nach Gedichten von Ludwig Rellstab und sechs Heinrich-Heine-Vertonungen, denen noch (voraus ging nur noch „Der Hirt auf dem Felsen“) das mutmaßlich allerletzte Lied („Die Taubenpost“) hinzugefügt wurde. Live bei der Schubertiade Schwarzenberg im Juni 2019 war eigentlich schon alles musikalisch wie technisch perfekt, und man hätte diesen Abend, der zwischen die Rellstab- und Heine-Vertonungen noch ein paar weitere Lieder einfügte, bereits so auf CD brennen können. Aber die Aufnahme fand dann doch im März 2021 unter Studiobedingungen im Markus-Sittikus-Saal in Hohenems statt, ganz ohne Husten und nicht minder unmittelbar beeindruckend.

Andrè Schuen © Christoph Köstlin

Obwohl «Schwanengesang» keinen Zyklus darstellt, wechseln auf ganz berückende Weise tieftraurige („Der Doppelgänger“, Nr. 13) und so leidenschaftliche wie „In der Ferne“ (Nr. 6), die Schuen in eine kaum mehr aushaltbare Intensität treibt, oder unruhvoll bewegte Lieder wie „Aufenthalt“ (Nr. 5) mit eher heiteren wie „Ständchen“ (Nr. 4), „Das Fischermädchen“ (Nr. 10), „Die Taubenpost“ (Nr. 14) oder „Abschied“ (Nr. 7), der des Rössleins Trab ganz unmittelbar in die Klavierbegleitung gießt. Daniel Heide ist nicht nur hier ein großartig differenziert mitgestaltender Partner am Flügel. Schlichter, aber harmonisch ungemein reicher Satz geht in einem einzigen Lied („Kriegers Ahnung“, Nr. 9) in eine immer bewegtere Komposition über, um am Ende in heimlicher Ahnung des Todes in der Schlacht („Bald ruh‘ ich wohl und schlafe fest“) nach ekstatischem Oktav-Aufschwung bei „schlafe“ wieder zu erstarren. 

Andrè Schuen kann und macht alles: Im Pianissimo verhalten und fast tonlos zu singen wie bei „Leise flehen meine Lieder durch die Nacht“ oder durchaus opernhaft die Stimme zu erheben. Oft mischt er geheimnisvoll dunkle Farben in seinen überaus schön timbrierten Bariton, wie er überhaupt bei tiefen Tönen eine Sonorität wie ein veritabler Bass verströmt. Manchmal hat man da das Gefühl, der große Mann wird zum kleinen Bub, der sich im düst‘ren Keller laut männlichen Mut ansingt! 

Ob fast vibratolos fein oder mit viril weit ausschwingendem Ton in „Der Atlas“, der ersten Heine-Vertonung: Andrè Schuen gebraucht wie ein begnadeter Schauspieler alle in Herz, Brust und Stimmbändern vorhandenen Stimmen, um in jedem Lied eine je eigene Geschichte zu erzählen. Da wollte man ihm ewig zuhören! Wie schön, dass man einfach nur die CD wieder von vorne spielen lassen kann!